Das Nudelholz

corbinian

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Wien
Ich betrachte es ausgiebig, rund wie es ist. Es wirkt sauber, sauberer als es seiner Gestalt nach sein sollte. In meinem Geist manifestiert sich die Erwartung eines schmutzigen Objektes, ausgemergelt in seiner Struktur, geschliffen durch seinen praktischen Gebrauch, sich selbst beweisend, als müsse es seine Position als Werkzeug rechtfertigen. Tatenlos, ja beinahe gleichgültig erträgt es meine Blicke, während es regungslos in Bereitschaft verharrt. In seiner Holzhaftigkeit erweist es sich als majestätisch, in seiner Form minimalistisch und in seiner Anmutung gar fromm. Ich habe ein frommes Holz vor Augen, sozusagen. Langsam gleitet mein obszön voyeuristischer Blick über die holzigen Kurven. Ich entdecke kleine Makel, neben grösseren. Plötzlich, völlig unvermittelt, kann ich es wahrhaft sehen. Abseits der Gestalt, tief vorborgen im Kern, zeigt es sich eindeutig. Das Prinzip. Fassungslos verharre ich in gebannter Betrachtung, atemlos. Mit einem Mal werde ich das Holz, bin das Holz, fühle die Kraft des Walkes, spüre die Struktur seiner Essenz. Ich ergreife den Kern und verleihe ihm mein Augenlicht, schenke ihm einen Funken des Geistes und lasse ihn sehen. Dann seh ich es ganz deutlich durch das Holz. Ich sehe die sehende Gestalt, sowohl Mensch wie auch Nudelholz, verschlungen in unendlicher Betrachtung. Jetzt ist alles klar, alles richtig, alles fügt sich nahtlos ineinander und ich bemerke beinahe im selben Augenblick, wie von Geisterhand, wie sich mein Bewusstsein zurückstülpend selbst verschlingt und sich willkürlich in Wohlgefallen auflöst. Alles hat sich verändert. Nur das Nudelholz, blieb wie es war.
 
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Die Geschichte des Nudelholzes ist wahrhaftig eine lange. Würde man, vom Zeitpunkt seiner Entwicklung aus, bis zum heutigen Tag, eine direkte Linie, mit, sagen wir einem Stück Kreide, malen, dann wäre diese, höchstwahrscheinlich doch im
Geiste gezogene, Linie, wahrscheinlich sehr lange und hätte mehrere Satzzeichen und Rechtsvhreibfehler zuviel, genau wie dieser Satz. Es kann kein Zufall sein, dass die Geschichte der feinen Küche auf hölzernen Füssen befestigt wurde, deren fundamentalen Bestandteile prinzipiell Nudelhölzer sind und waren, damals wie heute. Der Mensch vergisst gerne seine untergeordnete Rolle im Vergleich zum direkten Nutzen des Walkes und suhlt sich in seiner, doch im Grunde teigartigen, Vorstellung eines leicht transzendenten Zustandes mit der weitestgehend sinnlosen Bezeichnung "Bewusstsein". International erfolgreiche Nudelforscher nennen solch Wahnwitz zurecht weltfremd und setzen sich für die weltweite Akzeptanz des Nudelwalkes ein und wollen nebenbei einen endgültigen Schlussstrich unter die sogenannte "Diskriminierung, Ausbeutung und Versklavung von unterdrückten Tropenhölzern" ziehen. Wie man nur unschwer erkennen kann, ist das Interesse am Nudelholz weiterhin ungebrochen, ein Umstand der in einer immer schnelllebigeren Zeit beinahe einem Kuriosum gleicht. Das Holz verzaubert weiterhin die Massen wie kein Zweiter.
 
"Damals" begann der Alte wehmütig, um dann mit "waren sie noch aus ganz anderem Holz geschnitzt!" fortzufahren, bevor er sich am Bart kratzte und ins Leere blickte. Er war allein in seiner Backstube, ein Umstand der ihn keineswegs am reden hinderte. "Das Backen" grunzte er "ist des Bäckers Lust.. doch welche Gelüste befallen dich du stummes Holz?!" die Frage schien berechtigt und der prüfende Blick des alten Bäckers auf das zerschundene Holz unterstrich diese Tatsache, verlieh ihr Glaubwürdigkeit. "Sprich die Wahrheit Walk!" Schweissperlen sammelten sich in den stolz getragenen Furchen seiner Stirn "Und ich werde dich glaubwürdigen wie den Baum, der du einst gewesen!" Extase war das richtige Wort für den dargebrachten Eifer des alten Bäckers. Einen Moment kehrte absolute Stille ein. Doch plötzlich staubte das Mehl aus allen Poren, der Boden erzitterte wie Espenlaub und die Luft vibrierte aufgrund des Knalls, verursacht durch einen groben Schlag mit dem Nudelholz auf den Arbeitstisch, verursacht durch den Bäcker, verursacht durch einem kurzen Verlust der Besinnung und dem sprichwörtlich reissenden Geduldsfaden. Das Holz ertrug es. Das Holz ertrug es wie der Kerl, den der Bäcker gerne darstellen würde. Es ertrug es solange es sein musste, denn alle Bäcker sterben eines Tages. Das Holz wusste stets wenn es die Zeit auf seiner Seite hatte und der Bäcker wusste es ebenfalls. Sein Ausbruch war ein Eingeständnis. Der Alte schwieg und starb irgendwann, das Holz fand anderweitig Gesellschaft. So ist das eben.
 
Emil betrachtete seinen zerschundenen Körper, Mehl klebte in scharfkantigen Dellen und Reste von klebrigen Teig hingen an seiner Stirnseite herab. Er fühlte sich garnicht gut. Wehmütig dachte er zurück an die elterliche Backstube, das väterliche Walk, das mütterliche Holz.. Emil sammelte seit Jahren Feuchtigkeit in seiner Mitte, er dachte es wäre an der Zeit, eine gewisse Menge davon preiszugeben. Bitterlich war sein Schmerz, süsslich sein Geruch. Er fühlte sich überrollt, verlassen und schmutzig. Ein Gefühl der Scham kämpfte sich aus seinem harten Kern an die Oberfläche. Es war ein trauriger Abend für ein deprimiertes Holz. Lange Zeit versuchte Emil vergebens einzuschlafen, doch letztendlich war es der Bäcker der ihn im kritischen Moment unterbrach um seinen Pflichten nachzukommen. Emil wusste dass des Bäckers Pflicht ebenso die seinige war und nach dem dritten bestauben, mit dem griffigen Mehl, empfand Emil etwas, dass er schon lange vergessen glaubte. Er fühlte sich notwendig.. und diese Notwendigkeit war an etwas gekoppelt dass ihm bisher nie aufgefallen war. Gemeinschaft. Emil hatte kein Problem in der nächsten Nacht einzuschlafen. Er träumte von Menschen.
 
Menschen eignen sich nur bedingt als Nudelholz. Ihre vielgliedrige Gestalt und ihr durchwegs unförmiges, mit Fleisch und Sehnen durchzogenes Skelett bilden schlechte Grundbedingungen für einen rollenden, flüssigen Bewegungsablauf. Zudem sind Menschen unhygienisch und moralisch verwerflich, zwei Eigenschaften die absolut im Gegensatz zu den wesentlichen Merkmalen eines gut ausgebildeten Nudelwalks stehen. Des weiteren wird den Menschen bei Drehbewegungen speiübel und sie reagieren ausserdem sehr sensibel auf Druck. Menschen eignen sich, wie gesagt, nur bedingt als Nudelholz. Im Zweifelsfall sollte man zumindest ein Kleinkind verwenden, welches aufgrund der geringeren Schwungmasse leichter zu handhaben ist. Ein echtes Holz kann es jedoch nicht ersetzen..
 
Gar edelmütig walkt das Holz
der weichen Kante längs entlang
geschmeidig, ganz im Gegensatz
des mürben Teiges spröden Gangs.
So zäh sich auch sein Anfang zeigt
durch Nudelholz und Handarbeit
wird Mehl und Ei zu feinem Brei
dem selbst der Ofen einerlei!
Captain Cookie -1657
 
In der Mythologie der nudelhaften Naturhölzer sticht ein Name des Altertums besonders hervor: Lastanza Esmiralda Ragutelli Mismakante Exoposita Grande, die Erfinderin des zweigeteilten Walkes, heilige Schutzpatronin der Bäckerszunft und Heerführerin der Legion Nudelitas im dritten Nudelkrieg gegen die kleptische Armee, insbesondere bekannt durch die legendäre Topfdeckelschlacht des Grauens im westlichen Backamal-Gebirge, eine verdammt aldente Auseinandersetzung, die ihr unter Feinden den Spitznamen "die Nudelstanze" einbrachte. Ihr Geist ruht heute noch in jenen Gebäcken, die sich ihr als würdig erweisen. Ein Unterschied, den man schmecken kann. Denn er wurde auf dem Nudelhaufen der Geschichte begründet, von Legenden wie Lastanza Esmiralda Ragutelli Mismakante Exoposita Grande und weiteren grossartigen Nudelaugen. Jawohl!
 
Bäckerbruder Bernd B. Bausinski, besser bekannt als "Binzi" war gerade damit beschäftigt den Teig zu stauben, als sein Smartphone mittels Dreiton die Ankunft einer Email signalisierte. Binzi beäugte beiläufig sein Mobiltelefon, klatschte sich das Mehl aus den Händen und nahm es zur Hand. Bedächtig betrachtete Binzi den Bildschirm. "Youtube - Backcontest" stand da und eine Beschreibung und ein Link und ein kleines rotes Licht mit- Nein, das war immer zu sehen, es war Teil des Telefons. Binzi war aufgeregt, er war total aus dem Knusperhäuschen. Binzi sprang und jubelte und malte sich geistig die wildesten Backkreationen aus, mit denen er die Jury beeindrucken würde. Er drehte sich so wild, so unbekümmert.. er merkte nichtmal wie er das Nudelholz zu Boden stiess. Binzi hatte keine Zeit, er sah sich mental schon als Sieger und wollte gerade in seine Gewinnerpose umspringen als er auf dem Nudelholz ausrutschte. Sein letzter Gedanke drehte sich um die Dekoration eines Grünbeermuffins, den Knacks hörte er nicht mehr. Eine langsame Kamerafahrt auf das Nudelholz und der Einsatz von dramatischer Musik unterstrichen die Schuld des Walkes. Beinahe schien es so, als würde es versuchen zu grinsen, doch dann, war es wieder nur ein Holz das auf dem staubigen und blutgetränkten Boden lag, still und leise, neben dem ehemaligen Bäckerbruder Binzi.
 
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