Wie jetzt? Ein solch Umherirrender weiß, wonach er sucht?
Wen erwartet er denn bei einer solchen Ich-Bin-Suche zu finden? Einen Klon?
Er weiß ahnend bzw. ahnt wissend, wonach er sucht. Wenn ein Löwe Hunger spürt, weiß er nicht, dass sein Organismus nach Nahrung verlangt, aber es "weiß" instinktiv, wonach er suchen oder jagen muss. -
Wie gesagt: Man ist nur ein Suchender mit der Intention zu suchen - wonach auch immer. Auch als Suchender kann man umherirren, etwa dann, wenn man das Gesuchte nicht findet - nicht nur als grund- und ziellos Umherstreifender.
Der gezielt Suchende erwartet das zu finden, wonach er sucht. Valentin legt mit seinem Witz eigentlich recht tiefsinnig dar, worauf ich hinaus will: Der Brillenträger ist an seine Sehhilfe gewöhnt, sodass er gar nicht mehr bemerkt, dass er sie überhaupt trägt, und plötzlich, als er sein Etui leer vorfindet, vermutet er seine Brille irgendwo in seinem Umfeld; also beginnt er dort nach ihr zu suchen. Während des Suchens bemerkt er aber nicht, dass er sie deshalb nicht findet, weil er klar und deutlich sieht, dass sie da, wo er sie sucht, faktisch nicht ist. Erst als er sich genau hierüber besinnt, kommt er zu dem einleuchtenden Schluss, dass er sie tragen muss, da er ohne sie sie gar nicht hätte suchen, geschweige denn finden können. - Gerade so ist es mit der Suche nach dem Ich-Bin: Die Seele ist sich ihres innewohnenden Ich-Bin nicht bewusst, sie bemerkt es nicht, weil sie dessen Anwesenheit "gewohnt" ist. Unbewusst weiß sie, wonach sie suchen, wessen sie bewusst werden will und woran sie es erkennt. Aber Gleiches erkennt Gleiches, und so ist nur das selbst-eigene Ich-Bin in der Lage, sich selbst zu finden und zu erkennen. Mithin verwundert es nicht, dass die Seele ihr Ich-Bin außerhalb ihrerselbst nicht findet, eben, weil sie allein durch ihr Ich-Bin konstatiert, dass dieses nicht jenseits ihrer eigenen Mitte zu finden sein kann.
Wiederum fühlt die Seele sehr bestimmt, dass sie, um sich ihres Ich-Bin bewusst zu werden, außerhalb ihrerselbst "umherirren" muss, denn durch das Erleben von Grenzen und Eckpunkten im eigenen Schicksal wird sie an ihr Wesensinnerstes gestoßen und sich dessen mehr und mehr bewusst. -
In der Tat: Man muss sich erst selbst verlieren, um sich selbst wahrhaft zu finden. Und dann, wenn man sein eigenes Selbst wieder-gefunden hat, kann man sich mit dessen universalen Urgrund verbinden und diesen als Quell wahrer Menschen- und Welt-Erkenntnis in seinen Lebens-Mittelpunkt setzen. Dieses universale Ich-Bin ist kein Geringerer als der kosmische Christus. "Nicht Ich-Bin, sondern der Christus in mir!", so beschwört es sich Paulus, und er kann so mit ganzer Überzeugtheit sprechen, weil er durch sich selbst, durch sein selbst-eigenes Ich-Bin zum all-umfassenden Ich-Bin des Christus gefunden hat.
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