CO(S)MIC DREAMS oder KO(S)MISCHE TRÄUME

Buddhi denkt pragmatisch. Sie scheint zu wissen, dass das neue Universum die Form eines Baumes hat. Und alles, was da im und am Baum keucht und fleucht, sind wie die Blätter des Baumes. Sie fallen ab und verrotten. Aus und vorbei.

Sila wusste das schon immer. Deshalb war und ist sie für die Wesen der Anderen Seite, die das Öffnen der Quelle stets (deshalb gab es Religionen, die vom „anderen“ Reich berichten, in dem für immer Milch und Honig fließen – na ja, zwischen Paradies und Schlaraffenland gibt es eh kaum einen Unterschied) verhindern wollen. Wesen der Anderen Seite sind für Stagnation und für die Einheit. Eins mit der Quelle der Kraft. Keine Spiele mehr. Die Kinder haben zu Hause zu sein.

„Wir machen uns selbst zu Blätter, die abfallen und verrotten. Haben wir das nötig?“ fragt sie laut und mit Tränen in den Augen. Sila steht auf einer Anhöhe und blickt (Doppelwesen haben den Doppel- oder Metablick, was bedeutet, sie können mehrere Ebenen auf einmal erkennen, was ja eigentlich klar sein müsste. Oder etwa nicht?) auf das Meer hinab, auf dem ein einziges Segelschiff ruhig dahin gleitet. Es ist ein riesiges Segelschiff. Sila kann drei Personen auf dem Schiff ausmachen. Eine Person hat sie ganz besonders im Visier.

„Komm zurück, du Narr. Ohne dich sind wir verloren. Ohne dich kommt es wieder so wie im letzten Universum, dass es zu viele Menschenwesen gibt, die sich dann gegenseitig auf die Zehen steigen und schließlich zerfleischen“, fleht sie und hofft, Gevatter Tod kann sie hören.



When love and death embrace... Arimas Stimme gibt Sila Trost. Sie weiß, es kommt wieder zur letzten Umarmung. Wenn Liebe und Tod sich umarmen und eins werden. In Liebe gehen. In Liebe vom Baum fallen und verrotten. Liebe hegt keinen Groll. Wo Liebe ist, gibt es nichts anderes. Aber eine Liebe, die keiner von euch kennt, ihr Narren. Ihr Vollkoffer, die ihr nur an Sex und kindische Verliebtheit denkt. Liebe ist etwas anderes. Liebe ist der Kitt, der alles zusammenhält. Ohne Liebe würde selbst die Quelle auseinander fallen. Ohne Liebe gäbe es sie nicht, denn sie ist die Liebe.


In Ernsts Haus, das ein Stockwerk höher (Zubau!) wird, gibt es eine Hochzeit. Buddhi und der Andere heiraten. Und sie werden viele Kinder bekommen, die Buddhi hüten muss, (Schluss mit faul unterm Baum hocken, wo es doch im trauten Heim viel zu tun gibt!) während sich der Andere um Arbeit umsehen muss. Er wird Tischler, denn Särge werden immer gebraucht. Meint er. Und er wird sich täuschen, denn Gevatter Tod weigert sich nun, zurück zu kommen. „Ihr werdet schon sehen, wie beschissen es euch ohne mich ergehen wird“, sagt er und lacht laut sein schaurigstes Lachen. „Aber Betten werden immer gebraucht. Menschenwesen schlafen gerne“, denkt der Andere und fühlt sich gut dabei.

Mirjam und der Blaue kehren zurück in ihr kleines Dorf auf den Kontinent „Verschiedenes“ und leben glücklich und zufrieden weiter. Sie brauchen nicht viel. Sind genügsam. Und Spaß macht es auch, die Kühe am Morgen zu melken und tagsüber, da das Wetter auf „Verschiedenes“ immer schön warm ist, auf den weiten Wiesen zu hüten. Mirjam, die noch immer gut bei Kräften ist, hilft ihm sogar dabei. Wie Radha und Krishna hüten sie beide ihre geliebten Kühe.
 
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„Eins zwei drei im Sauseschritt, eilt die Zeit, wir eilen mit“, wie es so schön bei Wilhelm Busch heißt. Ernsts Haus ist zu einem Schloss geworden. Zu einem Schloss mit mindestens fünf Stockwerken, in dem sich je mindestens fünfzig Räume befinden. Räume, wobei der kleinste wenigstens 20 Quadratmeter hat. Natürlich befinden sich in jedem Trakt (Nord-, Süd- Ost- und Westtrakt) je zwei Badezimmern, die auch zu den Räumen gehören, wobei der kleinste wenigstens 20 Quadratmeter hat.

Buddhi und der Andere haben Kinder bekommen. Viele Kinder. Acht Mädchen und zwölf Jungs. Einige der Kinder, als sie erwachsen waren, zogen aus und bauten sich eigene Schlösser, als sie im Begriff waren zu heiraten und auch so viel Nachwuchs zu zeugen wie ihre Mutter.

Die Kontinente wuchsen nicht. Was wuchs, waren die Bewohner der Kontinente. Selbst die Känquokkas gab es in Überschuss, dass sich manche Menschenwesen und andere Tierwesen angewöhnten, Känquokkas zu verspeisen und als Delikatesse anzupreisen. So was hilft immer, wenn zu wenig Nachfrage da ist. Preise etwas als Delikatesse, als etwas ganz Besonderes an, hebe den Preis an (wie paradox!) und schon verkauft sich das Ding wie warme Semmeln. Verstehe jemand die Wirtschaft!

Da zu wenig Platz war, wurden Hochhäuser gebaut. Es wurden auch spezielle Häuser gebaut. Kinderhäuser oder Altenhäuser. Wenn eine Familie zu viele Kinder hatte und sie nicht mehr ernähren (was die nächste Gefahr war, denn Pamas Kontinent warf für so viele Mägen zu wenig Nahrung ab) oder unterbringen konnte, gab man sie in Kinderhäuser. Altenhäuser gab es mehr, denn die Alten wollten und wollten nicht sterben. Sie konnten sich kaum mehr bewegen, saßen oder lagen nur mehr da und pfiffen, wie man gemein(hin) so sagt, eh schon aus dem letzten Loch und doch gab es keinen erlösenden letzten Atemzug.

Arima, Sila, Luzy und die anderen „Götter“ waren ratlos. Schuld an allem hatte natürlich wieder mal Luzy (eigentlich Luzifer, der Teufel, Satan, Mephisto oder in anderen Breiten unter anderem auch Shiva, der Zerstörer genannt), der Gevatter Tod verbannte, weil er meinte, so das ewige Glücklichsein zu fördern.



„Hättest du ihn nicht verbannt, hätten wir jetzt nicht diesen Schlamassel“, schimpft Betunia, die auch fast auf das Segelschiff verbannt worden wäre und die, hätte man sie, wie Gevatter Tod, zurück gerufen, mit fliegenden Fahnen zurück gekommen wäre. Aber Gevatter Tod weigert sich. Man hätte es wissen müssen. Geduld ist seine Stärke und die Liebe zu Ruhe und Gelassenheit ebenso. Es macht ihm nichts aus, für immer und ewig auf dem herrlichen Schiff zu sein, ins reine Wasser zu blicken oder den Delphinen Geschichten zu erzählen, denen auch der alte Mann und der kleine Michel lauschen.

All das ist geistig, um es wieder in Erinnerung zu bringen. Rein geistig. Da ist kein Meer, kein Schiff und nichts. Man kann sich diese Dimension aber so vorstellen, als sei da ein Meer, ein endloser Horiziont, wo ab und zu ein Hafen auftaucht, wo angelegt wird und irgendetwas das Schiff verlässt, was irgendwie undefinierbar ist und erst in anderen Ebenen so etwas wie eine Form annimmt. Man kann sich schon denken, dass sich eine neue Spezies oder so etwas Ähnliches in den Ebenen manifestiert, wenn angelegt wird.

Aber es kann auch etwas anderes sein, etwa, dass man Gevatter Tod bittet, endlich auszusteigen, auch wenn seine Geschichten wunderschön sind und manchmal auch traurig und schaurig. Der alte Mann fühlt sich alt, wenn ihm Gevatter Tod mit seiner Knochenhand auf die gebeugte Schulter klopft und der kleine Michel bekommt Alpträume von den Geschichten. Nein, nein, nein, natürlich ist das wieder alles Quatsch, denn all das ist geistig und es tut sich herzlich wenig auf dem herrlichen Segelschiff. Es schippert irgendwie dahin, bringt Bewegung in die ganze Geschichte und scheucht die Zeit durch ein kleines Nadelöhr, genauso wie Neues durch das Nadelöhr gescheucht wird, wenn wieder mal angelegt wird. Aber Gevatter Tod lässt sich bitten und lacht sein schauriges Lachen über das Meer der Stille.

„So kann es wirklich nicht weiter gehen“, meint Arima und setzt sich in Nachdenkpose, wie der Denker, eine uralte Skulptur aus einer uralten Zeit des letzten Universums. Aber diese Pose hilft. Man denkt leichter und vor allem viel mehr Blödsinn.

Die Götter müssen verrückt sein. So denken nämlich auch die Menschenwesen und bauen dem Gott des Todes einen Tempel, in dem sie den Gott um die Gnade der Erlösung anbeten.

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Jede Menge Tempel sprießen aus dem Boden. Die Menschenwesen sind abergläubisch geworden. Gläubig waren sie ohnehin nie. Die im letzten Universum auch nicht. Religion ist ein Geschäft wie jedes andere auch. Es werden Kerzen vor den Tempeln angeboten. Auch kleine Bildchen vom Gott des Todes werden verkauft. Wie man ihn sich vorstellt. Wie immer. Knochengerüst im schwarzen Kapuzenmantel und Sense in der Knochenhand. Auf manchen Bildchen lugen unter der Kapuze lange, silberne Haare hervor.


Schlafes Bruder (herrliches Buch von Robert Schneider und ebenso herrlicher Film mit Andrè Eisermann) befindet sich auf dem Segelschiff im stillen Meer. Er erzählt noch immer seine Geschichten. Über das alte Universum und das noch ältere und das noch viel ältere. Seine Geschichten gehen nie aus. Er erzählt über die vielen Menschenseelen, die so viele Wünsche hatten und gar nicht glauben konnten, dass Gevatter Tod sie alle erfüllen kann.

„Wie gesagt, wenn das Leben keine Wünsche erfüllt, muss es der Tod – in dem Fall ich – tun“, schmunzelt er, wobei er eigentlich immer schmunzelt. Man kann es auch das eiskalte Lächeln nennen, bedingt durch die Knochen und Zähne (er hat sie, trotz seines Alters, noch immer alle!), die durch keine Haut zusammen gehalten werden oder so ähnlich. Manche empfinden sein Lächeln vielleicht auch wärmend. Je nachdem. Wenn er plötzlich kommt, sagt man: eiskalt erwischt. Aber wenn man ihn herbeisehnt, so wie die alten Menschen auf den Kontinenten der Erde, dürfte es ein sehr warmes Lächeln sein.

„Kannst du denn alle Wünsche erfüllen?“ fragt der kleine Michel.

„Weißt du, die meisten Lebenden haben wenig Phantasie. Sie wünschen sich nur das, was sie kennen oder mal gehört haben. Wünsche wie das ewige Paradies, das oftmals mit dem Schlaraffenland verwechselt wird, sind an erster Stelle. Aber bald bemerken die armen Seelen, dass die Ewigkeit, wie sie sich das vorstellen, sehr langweilig werden kann.“

„Und was machst du dann? Neue Wünsche erfüllen?“ fragt der kleine Michel und blickt forschend in die schwarzen Höhlen, wo die Augen sein sollten. Irgendwie erkennt er darin ein sanftes Funkeln.

„Natürlich! Man sollte mich Wunscherfüller nennen und nicht Tod“, ruft Gevatter Tod fröhlich aus.

„Aber wie es scheint, haben die Menschenwesen jetzt einen Wunsch. Sie bauen dir Tempel und beten darin, damit du sie erhörst und sie vom Leben erlöst“, sagt er kleine Michel und Tod grinst. Man weiß nicht, ob er wirklich grinst oder es nicht doch bedingt durch die Knochen und Zähne ist, die durch keine Haut zusammen gehalten werden oder so ähnlich.

„Ich weiß, mein lieber, kleiner Michel“, sagt der Tod und der kleine Michel findet ihn immer liebenswerter.



Buddhis vierte Tochter gerät etwas aus der Reihe. Sie will nichts lernen. Sie will, wie einst ihre Mutter, immer nur unter dem alten Bodhibaum hocken. Gitta, so nennt man sie, erinnert auch äußerlich an ihre Mutter. Rundungen, wohin sie gehören, ein hübsches Gesicht, aber keinen Dutt, sondern zwei lange Zöpfe.

„Ich demonstriere“, meint sie, als ihr Vater (der Andere), sie ein wenig gewaltsam vom Baum ziehen und zur Schule (ja, diese Qual für Kinder gibt es auch wieder) bringen will.

„Ich tu etwas, während ihr bloß unnötiges Zeug vor den Tempeln kauft und damit die Umwelt belastet. Ich demonstriere gegen das Leben und bitte den Tod, dass er wieder zu uns kommt.“

„Wir werden ja sehen, ob es was hilft“, schimpft der Andere, während Buddhi händeringend daneben steht. „Aber jetzt gehst du erst mal zur Schule wie alle anderen auch.“

Aber was geschieht? Plötzlich kommen andere Kinder und setzen sich zu Gitta unter den Baum und es werden immer mehr.

„Wir demonstrieren auch!“ rufen sie wie aus einem Munde.

„Vielleicht hätte ich auch unter dem Baum bleiben sollen, dann wäre uns dieser Zirkus erspart geblieben“, raunt Buddhi und hockt sich zu den Kindern.


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Die Reue der Frauen, wenn sie wegen Kinder und Haushalt auf ihre Karriere verzichten, kann niederschmetternd sein. Viele davon verzichten freiwillig und vor allem aus Liebe oder viel mehr aus Verliebtheit, denn Liebe kennen die Menschenwesen noch immer nicht. Dieser große Aspekt fehlt einfach im Bewusstsein oder in der Bewusstseinsblase, wie Arima sagen würde.

Apropos Arima! Und auch Sila, wie auch Luzy und alle anderen so genannten Götter und Göttinnen! Sie werden immer weniger in den Kontinenten gesehen. Sogar die bodenständige Pama wird immer flüchtiger. Manchmal wirkt sie wie Novembernebel über ihren Feldern, auf denen alles mögliche Getreide und Gemüse gedeiht. Und jene Menschenwesen, die auf den Feldern und in den Fabriken, wo die Ernte zu gutem Essen verarbeitet wird, vergessen sie nach und nach.

Auch wenn der Vergnügungspark bleibt, er ist nicht mehr so magisch. Es gibt keine echten Zauberer mehr, keine Hexen, die den Menschenwesen eine angenehme Zukunft voraussagen. Vielleicht, weil es eh keine angenehme Zukunft mehr gibt, seit sich Tod selbst in Verbannung geschickt hat, denn Luzy hatte sie schon längst aufgelöst. Apropos Luzy! Auch er hat sich verabschiedet und döst in einer uralten, dunklen Höhle dahin. Natürlich in Begleitung von Betunia und einigen anderen Göttern und Göttinnen, die einst Dämonen genannt wurden.

Die Ebenen heben sich ab. Aus der wunderbaren Einheit (Landwirtschaft, kleine, feine Stadt, Zauberpark), die dem einstigen Paradies (wenn man daran glaubt!) ähnlich war, wurde das, was man durchaus einen Planeten nennen kann, auf dem so genanntes intelligentes Leben gedeiht. Intelligentes Leben, das an einen persönlichen Tod nennt! Natürlich ist der Tod immer persönlich, da er die einzelnen Lebewesen betrifft, sozusagen ins Jenseits befördert. Gemeint ist damit aber eine Person! Ein Knochengerüst, das in einem schwarzen Kapuzenmantel steckt und das eine Sense in einer der Knochenhände hält und das ständig grinst, wie einst Buddhi, Gittas Mutter, die diese Reue, von der oben die Rede war, bestens kennt.

Buddhi hat ihr Grinsen schon lange verloren. Kurz nach der Hochzeit mit dem Anderen, den man Andre nennt und der sich sehr verändert hat, indem er ganz auf seine Mutter und seinen Zwillingsbruder vergessen hat, lächelte Buddhi noch, aber nach dem fünften Kind verging es ihr für immer. Erst als sich ihre Tochter Gitta unter den Buddhibaum setzte, kam es langsam wieder zurück.

Andre gefiel das ganz und gar nicht. Noch weniger gefiel ihm, als die ganze Bande, Buddhi, Gitta und die vielen Schüler und Schülerinnen, die nun keine Schüler und Schülerinnen sein wollten, sich auf die Suche nach Gevatter Tod machten. Sie wollten tatsächlich den Tod als Person finden und in ihre Stadt, eigentlich auf den gesamten Planeten, zurück bringen. Aber dazu müssten sie nicht nur die Stadt, sondern auch den Planeten verlassen.



Auf dem Kontinent „Verschiedenes“, der auch immer dünner wird oder sagen wir, der von den Menschenwesen und anderen Lebewesen kaum mehr wahrgenommen wird, geht auch einiges vor. Manchmal sind nämlich Arima, Sila und Pama dort anwesend und wenn man es genau nimmt, befindet sich dort jene Höhle, in die sich Luzy, samt Konsorten zurückgezogen haben.

Dort leben Mirjam und der Blaue wie einst Radha und Krishna. Krishna, jener Aspekt, den ich wie Joshua, der Ganzheit Arima zuordnen würde. Aber das sind, wie immer, lächerliche Spielereien, da jedes Lebewesen für sich selbst existiert und im Grunde genommen auf seine Ganzheit verzichten könnte. Oder wollen wir Hampelmänner sein? Mitnichten! Arima ist wenigstens so anständig und lässt seine Apekte sein wie sie sind, bzw. sein wollen.

„Sie suchen nach Tod“, stellt Sila fest, als die drei (Arima, Sila und Pama) auf einer staubigen (durchsichtigen!) Landstraße dahin wandern, wo es zur einfachen Hütte Mirjams und des Blauen geht.

„Ich sagte immer, dass es den Tod nicht gibt, aber geglaubt hat mir nie jemand. Die Tiere und Pflanzen wissen es, aber die Menschenwesen sind noch immer genauso verbohrt wird damals“, sagt Arima und schüttelt den Kopf.

„Tod sagte auf dem Segelschiff, dass er alle Wünsche erfüllt, weil das Leben nun mal kein Wunschkonzert ist“, gibt Pama zum besten und alle drei lachen hell auf.

„Manchmal sollte man der Phantasie auch ihren freien Lauf lassen. Das ist nur ein Missverständnis seitens der Autorin, die diese Geschichte schreibt“, klärt Arima auf. „Man kann schon sagen, dass der Tod Wünsche erfüllt. Die wahre Bedeutung wäre aber, dass im Tod Wünsche erfüllt werden und das heißt, dass sich jedes Lebewesen seinen Traum oder seinen Glauben selbst erfüllt. Aber dazu braucht es keinen Tod, denn das könnte es im Leben auch schon haben.“


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Von wegen Phantasie! Verwirrung macht sich breit. So ist es immer, wenn man versucht, etwas zu beschreiben, was nicht zu beschreiben ist. Fakt ist jedoch, dass Götter und Göttinnen, sowie Dämonen und Dämoninnen, unendlich viel älter werden als alle anderen Lebewesen.

Arima zählt nun zu den Göttern, zu den Wesen der Anderen Seite, die alles überdauern. Sila auch. Ebenso Pama. Da stellt sich doch die Frage, ob Arima nicht doch im letzten Universum den Kampf verloren und sich umpolen lassen hat. Umpolen bedeutet, Energie von Dieser Seite in Energie der Anderen Seite umzuwandeln, was umgekehrt natürlich auch möglich ist, aber meist nie angewendet wird. Wer wird schon ein Leben von der Länge mehrerer Millionen Jahre gegen eines von durchschnittlich 80 Jahren tauschen?

Aber egal. Es zählt nicht mehr, ob Arima verloren oder gewonnen hat, denn das neue Universum ist da. Offen gelegt im Großen Buch, in dem alles steht, was war, ist und sein wird. Dort steht auch, dass es ein Wesen gibt, das Gevatter Tod genannt wird und dass sich ein junges Fräulein aufmacht, ihn zu suchen und mit nach Hause zu nehmen, um dem Elend vieler Menschenwesen ein Ende zu machen.

Man stelle sich nur vor, wie viele schon versucht haben, sich umzubringen! Man stürzt sich von einer dreißig Meter hohen Brücke und was passiert? Nichts! Man bricht sich zwar alle Knochen und bleibt für eine Weile ohnmächtig liegen, aber man stirbt nicht. Kann sich jemand diese Schmerzen vorstellen, wenn so jemand das Bewusstsein wieder erlangt? Und all die Krankheiten, die es noch immer gibt! All das Leiden, von dem man nicht erlöst wird!

Luzy war in dieser Beziehung nicht gründlich. Er hätte auch Krankheit und Schmerz zum Teufel (???) schicken müssen, - bzw. auf das herrliche Segelschiff, das ewig durch das stille Meer schippert. Konsequenterweise hätte er auf die vier Reiter achten müssen, die unsichtbar auf unsichtbaren Pferden ihr Unwesen unter den Lebewesen treiben. Den ersten auf dem weißen Pferd könnte man gelten lassen, denn er steht für Gerechtigkeit. Aber wozu Gerechtigkeit, die im Grunde genommen nichts anderes als Rache bedeutet, wenn man es sich genau überlegt? Der zweite Reiter auf dem roten Pferd müsste unbedingt verbannt werden. Er steht für Krieg. Der dritte wäre die Pest, was, so konnte man sagen, für Krankheit und Schmerz steht. Weg mit ihm! Na ja, und Gevatter Tod auf dem schwarzen Pferd wurde verbannt, nur hockt er ohne Pferd auf dem Schiff, das irgendwo auf einer Wiese allein und verloren grast und auf die Rückkehr seines Meisters wartet.

Aber nicht nur Gitta, ihre Mutter Buddhi und ein paar Schüler und Schülerinnen (die meisten sind wieder nach Hause gegangen, weil ihnen die Wanderung zu anstrengend ist, also sind nur mehr 6 Mädchen und 6 Jungs dabei geblieben) machen sich auf den Weg, auch Luzy und Betunia (man nennt sie auch Lilith oder Parvati oder Kali oder wie immer man will, aber ich nenne sie Betunia und nebenbei bemerkt ist sie in Luzy verliebt) sind auf der Suche, da Luzy nun endlich erkannt hat, welchen Scheiß er angerichtet hat. Aber die beiden sind nicht auf dem Weg, um Gevatter Tod zurück zu holen, wie Gitta und ihr Geleit das im Sinn haben, sondern sie sind auf der Suche nach den anderen drei Reitern, um auch sie zu verbannen.


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„Verbanne das, was dich stört, aus dem Bewusstsein und es wird verschwinden“, oder so ähnlich sagte Sri Yukteswar zu Swami Paramahansa Yogananda. Bewusstseinsschulung erster Klasse! Wenn es nur so einfach wäre. Aber das ist es! Man muss nur glauben. Man muss glauben. Man muss an sich selbst glauben. Daran, dass man nicht der materielle Körper, sondern reine Energie – reiner Geist ist, dem alles möglich ist.

Also verbannen wir Gerechtigkeit, die eh nicht erforderlich ist, wenn jede/r gerecht und keine Rache nötig ist, Kriege, Krankheiten und Schmerzen und Tod aus unserem Bewusstsein. Jetzt sofort. Auf der Stelle.

Viele werden zögern, wenn Luzy (der „böse“ Luzifer!) derjenige ist, der dies im Sinn hat. Uneigennützig. Das weiß natürlich niemand. Fragt ja auch keiner nach dem Warum. Ist eben so. Und das nehmen wir einfach so hin. Luzy, der sich als Böser beschimpfen lässt, obwohl er gar nicht wirklich böse ist. Es ist ihm einerlei, ob man ihn liebt oder hasst. Sein Ego, falls er überhaupt eines hat, ist klitzeklitzeklein. Ebenso klitzeklitzeklein wie Arimas, Silas, Pamas und auch Betunias Ego. Wenn man Millionen von Jahren alt werden kann, braucht man kein Ego. Da würde es nur stören, weil es einen durch seine Gier und Unzufriedenheit nur zur Verzweiflung bringt. Würden das die Menschen wissen, könnten sie vielleicht auch so alt werden, was nun, bedingt durch die Verbannung Gevatter Tods, durchaus sein könnte.

Und die blöde Gitta will den Tod wieder zurück holen, weil sie meint, es gibt zu viele Menschen auf der Welt, die alles versauen und somit Mutter Erde vergiften. Wäre ja auch die einzige Möglichkeit, denn kein Menschenwesen verzichtet mehr auf seine Bequemlichkeiten, auch wenn sie sich verbiegen und leugnen und demonstrieren, aber zu Hause stapeln sich die Plastiksackerln. Als ob Plastik das Übel wäre! Der Mensch ist es! Nur der Mensch!

Das Menschenwesen (um im neuen Universum zu bleiben), das durchaus besser werden könnte, als es jemals war. Aber nur dann, wenn Luzy Vertrauen entgegen gebracht wird. Und die blöde Gitta, samt ihrer Mutter Buddhi, die eine neue Religion hätte einführen können und das nur wegen dem bisschen Haushalt verpasst hat und die 12 Schüler und Schülerinnen, die nur deshalb Schule schwänzen, weil sie von Schule die Nase voll haben, was ich durchaus einsehe, können brausen gehen.

Es könnte klappen, wenn sich Gittas Meute und Luzy, samt Betunia irgendwo auf dem Weg treffen. Dann würde so etwas wie ein Streit ausbrechen – ein winzig kleiner Krieg und schon wäre einer der apokalyptischen Reiter nahe genug, um verbannt zu werden. Oder lässt sich Gitta umstimmen, wenn Luzy versucht zu erklären, was er vorhat?

Aber sie treffen sich nicht, denn Buddhi versucht ihre Tochter umzustimmen, sie zur Rückkehr zu überreden, zur Schule zu gehen und endlich etwas aus ihrem Leben machen.

„Das sagst ausgerechnet du, Mutter!“

„Ja, das sage ich!“

„Du warst es doch, die als erste unter dem Bodhibaum saß und die Menschen ändern wollte.“

„Ich wollte sie nicht ändern. Ich wollte, dass sie das Leben genießen.“

„Aber wie können sie bei diesem Leid, Mutter?“

„Vorsicht, da ist eine Regenlacke!“

„Halt die Klappe Schalotte!“

„Gitta, wie redest du mit deiner Klassenkameradin?“

„Tut mir leid, Mutter. Tut mir leid, Schalotte. Ja, ich hab die Regenlacke gesehen und es ist egal, ob ich rein steige oder nicht. Meine Schuhe, samt Klamotten, sind bereits nass durch den vielen Regen, der nun schon tage- und nächtelang aus den Wolken fällt.“

„Schon das wäre ein Grund umzukehren. Wir holen uns sonst noch den Tod, Gitta.“

„Deswegen sind wir ja auch unterwegs, Mutter!“


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Noch rechtzeitig (?) erkennen Arima, Sila und Pama (die heilige Dreifaltigkeit), was Luzy und Betunia vorhaben.

„Du spinnst doch, Luzy!“ kreischt Arima, als die drei die beiden an einer Kreuzung zweier staubiger Landstraßen begegnen. „Zuerst verbannst du Tod und vergrämst ihn damit und jetzt willst du Krieg und Krankheit auch verbannen.“

„Und Gerechtigkeit“, vervollständigt Luzy stolz.

Arima, Sila und Pama drehen alle drei gleichzeitig die Augen über.

„Na super!“ ereifert sich Arima. „Und was dann? Vielleicht fällt dir dann auf, dass es noch immer so viele Geburten gibt. Willst du dann Frau Geburt auch verbannen? Und schließlich wird den Menschenwesen langweilig werden. Willst du dann auch Meister Langeweile aufs Schiff schicken? Und so weiter und so fort. Es wird immer etwas geben, Luzy. Diese Welten sind nicht vollkommen. Es gibt nur eine Vollkommenheit. Und das ist die Quelle der Kraft.“

„Und was haben wir davon?“

„Luzy, hast du vergessen, wie es in der absoluten Geborgenheit ist, in der nur gegeben und nie genommen wird? Hast du diesen Frieden und vor allem diese bedingungslose Liebe, die es nur in der Quelle geben kann, denn wirklich vergessen können? Es gibt nur diesen einen Geist und wenn auch nur ein winziges Teilchen dieses Geistes nun diesen Traum hier träumt, so darf es nicht sein, dass dieses Teilchen alles vergisst. Wir sind dazu da, um alle daran zu erinnern, Luzy. Wir sind nicht dazu da, sie weiter in den Traum zu stürzen, den es gar nicht wirklich gibt.“

„Sie haben vergessen, wir nicht“, spricht nun auch Sila und nimmt sanft Luzys Hand (denn ein wenig ist sie auch in Luzy verliebt und nicht nur in Arima). „Wir müssen sie in Ruhe lassen. Wir dürfen uns nicht mehr einmischen, wie wir und viele andere unserer Art es einst getan haben. Wir müssen Vorbild sein, dass auch sie die andere Lebewesen in Ruhe lassen und sich nicht über sie stellen. Das Fleischessen hat bereits begonnen. Es muss wieder aufhören, sonst versinken die Menschenwesen abermals im Sumpf des absoluten Vergessens. Noch hören sie vereinzelt die wahren Stimmen in sich selbst. Zumindest einige wenige wie Buddhi, die sich bald wieder unter einen Bodhibaum setzen und schweigen wird, weil das die einzige Antwort auf alle Fragen ist.“

„Also, komm, Luzy“, setzt auch Pama hinzu und nimmt Luzys andere Hand (Pama ist nicht in Luzy verliebt!). „Lass uns nach Hause gehen. Geh mit Betunia zurück in deine Höhle, macht euch einen guten, warmen Tee und schaut ein wenig Fern, bevor ihr zu Bett geht.“

Nach diesen Worten sehen alle Pama etwas verwirrt ab, aber sie schütteln diese seltsamen Gedanken ab und schließlich kehren sie tatsächlich um.

„Ich habe es nur gut gemeint. Ich wollte, dass sie glücklich sind“, meint Luzy auf dem Heimweg.

„Das wissen wir doch. Aber Tod muss zurück kehren, sonst kommt es zu einem unvorhergesehen Aufwachen des Traums. Gevatter Tod ist ja nicht nur für die Erde verantwortlich, sondern für das gesamte Traumuniversum“, klärt Sila auf. „Da draußen stapeln sich die Planeten und Monde und Asteroiden und was es sonst noch alles da draußen gibt, was miteinander kollidiert und verschmilzt. Die Menschenwesen und andere Humanoiden dürfen nicht mit einem so plötzlichen Schock aufwachen.“

„Aber wenn Tod nicht hier ist...“, beginnt Luzy.

„Verdammt!“ kreischt Arima abermals auf, dem die Geduld langsam zu Ende geht. „Es gibt keinen Tod, Luzy!“

„Deswegen brauchst du nicht so zu schreien, Bruder“, wehrt Luzy beleidigt ab.

„Ist doch wahr“, nuschelt Arima etwas leiser. „Hast du echt alles vergessen? Was meinst du, warum Gevatter Tod (der ebenso nur eine Art Vorstellung ist wie alles andere hier) sagt, er erfülle alle Wünsche? Nicht er erfüllt sie, sondern die Lebewesen erfüllen sich selbst ihre Wünsche. Tiere sind da besonders gut. Pflanzen mitunter auch, obwohl man es ihnen kaum zutraut mit ihrem feinen Nervengespinst ohne Ableiter, bzw. Gehirn. Sie wünschen sich, bevor der große Traum abermals zu Ende geht, eine Welt ohne Menschenwesen.“


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Die Landschaft verändert sich zusehends. Aus den sanften Hügeln werden Berge und aus den Bergen schroffe, steil nach oben ragende Felsen. Sie sind nur mehr zu viert. Und schließlich, als der unheimliche Hohlweg beginnt, drehen auch die letzten beiden Schüler um und lassen Gitta und ihre Mutter alleine weiter gehen. Die Schlucht wird tiefer und tiefer. Von oben dringt kaum mehr Licht durch, da die Felsen fast zusammen stoßen.

Via Mala, könnte man denken, - schlechter Weg und übrigens auch ein lesenswertes Buch (Film ist auch okay, obwohl Bücher immer besser sind). Ich würde diesen Weg gerne gehen und dabei wohl das Gefühl haben, dass mir der Herr Lauretz mit einer Flasche Schnaps brüllend entgegen kommt.

Plötzlich ist der Weg zu Ende. Die Felsen stoßen zusammen und bilden nur mehr einen ganz schmalen Durchlass, den Gitta vielleicht noch schaffen würde, wenn sie sich ganz dünn macht. Für ihre Mutter, die nach den vielen Kindern schön rund wurde, ist Endstation.

„Dreh um, Mutter und setze sich zu Hause unter den Boddhibaum“, sagt Gitta sanft und umarmt ihre Mutter.

„Woher willst du wissen, dass dies der richtige Weg ist?“ fragt Buddhi besorgt.

„Ich weiß es einfach. Sei unbesorgt. Und wenn ich nicht wieder komme, sei ebenso unbesorgt und denk dir, dass ich es so haben wollte“, antwortet Gitta, umarmt ihre Mutter und zwängt sich schnell durch die Felsen, um einem tränenreichen Abschied zu entgehen.

Drüben ist es noch dunkler, aber der Weg ist wieder ein wenig breiter geworden. Auf der rechten Seite werden die Felsen niedriger, bis es, nach ein bis zwei Kilometer in Dunkelheit, rechts einige hundert Meter bergab geht. Gitta kann es nicht sehen, aber seltsamerweise kann sie es spüren. Also hält sie sich ganz links und tastet sich an der Felswand entlang. Unten kann sie das Wasser rauschen hören. Für einen Bach oder Fluss ist es zu laut. Es dürfte Meeresrauschen sein. Aber hier, mitten im Gebirge?



Buddhi hat Tränen in den Augen. Sie beherrscht sich, um nicht den ganzen, langen Weg nach Hause zu weinen. Irgendwie hat sie das Gefühl, ihre Tochter Gitta nie wieder zu sehen. Es ist ein beängstigendes und erdrückendes Gefühl. Aber Gitta wollte es doch so. Und wenn sie Erfolg hat, wenn sie den Tod wieder zurück holen kann, erlöst sie damit Millionen von Menschen von ihren Leiden und Schmerzen. Dann ist Gitta eine Heldin, die gefeiert werden wird. Dann wird Gitta Denkmal errichtet. Dann wird Gitta mindestens ein Tag im Jahr gewidmet. Buddhis Antlitz wird fröhlicher, bis sie wieder das ihr ganz eigene Lächeln im Gesicht hat, wofür sie unter dem Buddhibaum berühmt geworden ist.




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Plötzlich führt der schmale Weg stark bergab. Das Rauschen des Wassers jedoch nimmt ab, bis es ganz still ist. Totenstill. Ein schmaler Lichtschein schwebt über der Schlucht, in der sich Gitta nun befindet. Der Boden besteht aus Wasser, aber das Mädchen geht nicht unter. Gitta geht übers Wasser einst Joshua.



So steht es zumindest geschrieben. Ich hingegen meine, er ging weit über der Welt und hatte mit ihr nichts mehr zu tun, denn sein Reich war niemals von dieser Welt. Sein Reich war mitten in der Quelle. Schon damals. Und niemand hat es je erfahren, weil alles falsch geschrieben wurde. Weil man das nicht schreiben kann! Weil es jenseits aller Beschreibungen liegt. Joshua ging (metaphorisch!) also nicht nur übers Wasser, sondern auch über der Erde und über dem Feuer und über der Luft. Die Elemente hatten für ihn keine Bedeutung. Materie hatte für ihn keine Bedeutung, weil er nur die Quelle erkannte.

Buddha erkannte dies auch und man stellte irgendwann fest, dass die Buddhawelt geschmacklos ist. Aber nur, weil da nichts wahrgenommen werden kann und Menschen sich darunter nichts vorstellen können, da ihre Welt nur aus Vorstellungskraft besteht. Wahrnehmung ist Schwindel. Wahrnehmung ist nichts anderes als eine Vorspiegelung von Bewusstsein, das in Wirklichkeit reiner Geist ist. Bewusstsein ist Hirnsache. Wie schon mehrmals gesagt, geschrieben und doch hat es keine Bedeutung, weil Schreiben keine Wirkung hat. Schreiben findet in einer Scheinwelt statt und führt noch weiter in den Schein, statt in das Sein. Aber was soll man sonst tun? Löcher in die Luft starren? Für immer schweigen? Mündlich wie auch schriftlich. Ja, besser wäre es.



Gitta geht nicht übers Wasser. Noch ist das Wasser sehr seicht. Und ihr Schuhwerk war ohnehin schon nass, da es laufend geregnet hat. Kalt ist ihr auch nicht mehr, obwohl die Wanderkleidung (Hosen mit Taschen an den Seiten, T-Shirt und leichten Anorak) ebenso durchnässt ist, wie die festen Wanderschuhe. Alles Schein, statt Sein. Aber Gitta nähert sich mehr dem Sein.

Der Himmel lichtet sich. Er färbt sich blau. Er nimmt den Pinsel in seine Hand und malt sich blau an, weil die Farbe bereits mehr grau, statt blau geworden. Und faltig. Ja, die Rede ist vom Blauen, der sich weiter vorne im seichten Wasser blau anmalt und es dem Himmel gleichtut. Wo ist Mirjam? Sie hat ihren Sohn, der ihr geblieben ist, los geschickt, um Gevatter Tod zu suchen, weil sie es satt hat, auf dieser Welt zu sein. Mirjam will weg. In eine andere Welt. In einer, wo es nicht so viele dumme Menschenwesen gibt.



Was denen (den Menschen!) alles einfällt! Man darf gar nicht darüber nachdenken. Die Schildbürger sind ja noch Intelligenzbolzen dagegen. Jetzt pflanzen sie in einem Fußballstadion aus Kunstzwecken (!) Bäume. Aus Kunstzwecken! Und wenn der Kunstzweck vorbei ist, werden die Bäume umgesiedelt. Sie tun mit den Lebewesen, was sie wollen und erkennen gar nicht, dass sie es mit Lebewesen zu tun haben. Co2-Steuer wollen sie einführen! Kann man dadurch die Umwelt retten? Klar, mit Geld ist ja alles möglich. Meine Güte! Man fährt und fliegt munter weiter, weil mit dem Steuergeld neues Grün gepflanzt wird, das durch das weiterfahren und weiterfliegen auch wieder zerstört wird. Da sträubt sich aber das Hirn in alle möglichen Richtungen, nur nicht in die richtige. In so einer Welt muss man ja verrückt werden, wenn man es noch nicht ist. Kommt sicher noch. Anders lässt es sich hier eh nicht mehr leben.



Hoppla, da bin ich wieder abgeschweift in das alte Universum, obwohl es hier um das neue geht, obwohl das auch nicht viel besser ist, wie man an Mirjam erkennen kann. Sie hatte es nie leicht im Leben. Musste ihre zwei Bengel alleine durch bringen und hat es schließlich auch geschafft. Wie, das lassen wir lieber im Dunkeln. Man munkelt, sie sei nicht immer mit den Gesetzen konform gegangen. Muss man ja auch nicht. Man darf sich nur nicht erwischen lassen. „Down with law“ und „fuck the system“ waren lange Zeit Mirjams Parolen. Jetzt ist sie müde. Sehr müde.



„Was machst du denn da?“ ruft Gitta dem Blauen entgegen. „Bist du nicht der Bruder von Andre? Wenn, dann bist du mein Onkel!“

„Ich mach mich wieder blau, aber die Farbe deckt nicht. Und ja, ich bin der Bruder von Andre und dein Onkel.“

„Ich sehe, dass du dich anmalst. Ich meine generell, was du hier machst. Ich meine, warum bist du hier an diesem seltsamen Ort?“

„Meine Mutter hat mich los geschickt, um Tod zu suchen und ihn zu ihr zu bringen“, gibt der Blaue kleinlaut von sich, als Gitta neben ihm steht und ihn, trotz seiner Nacktheit, ungeniert von oben bis unten ansieht, obwohl es kein netter Anblick ist, denn immerhin ist er so alt wie ihr Vater und das ist sehr alt, wenn man von jungen Mädchen so um die 15 ausgeht.

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Der Blaue zieht sich seine bunte Pluderhose an und setzt sich den Turban mit der Pfauenfeder auf das bereits graue und schüttere Haar und Gitta atmet erleichtert auf.

„Lass uns zusammen weiter gehen. Man sagte mir, manchmal legt Tod mit einem Segelschiff am stillen Meer an, wenn es irgendwo im Universum eine neue Spezies gibt“, sagt der Blaue und bietet Gitta seinen blaugrauen Arm an.

„Es gab doch irgendwo einen Wissenschaftler, der meinte, dass sich alles aus einem winzigen Teilchen entwickelt hat. So auf die Art, dass zuerst ein Teilchen war das sich teilte. Dann gab es zwei Teilchen, die sich wiederum teilten, bis sich einige wieder zusammenfügten und zu einem Lebewesen wurden. Aus diesen Lebewesen entwickelten sich andere Lebewesen und so fort. Alles Lüge, wenn das mit Tod und dem Segelschiff stimmt“, schimpft Gitta.

„Man hat uns sowieso immer belogen. Gewusst haben nur die Reichen und Oberen was. Wir Armen und das gewöhnliche Volk sind nur Mitläufer“, schimpft der Blaue mit.

„Schafherde“, stellt Gitta fest,

„Wo ist eine Schafherde? Ich liebe Herden. Lange Zeit hütete ich Kuhherden. Gar nicht so einfach mit den großen Tieren. Schafe wären mir eigentlich lieber gewesen“, sinniert der Blaue (der noch immer keinen richtigen Namen hat!).

„Wir sind die Schafherde!“ sagt Gitta und schüttelt den Kopf.

„Wie geht es meinem Bruder?“ will der Blaue wissen. „Hab ihn seit der Hochzeit nicht wieder gesehen.“

„Gut, denke ich. Wir haben ihn auch schon länger nicht mehr gesehen. Mutter und ich haben ihn mit den Kindern zu Hause gelassen, weil wir uns auf den Weg machten, Tod zu finden.“

„Meine – äh, unsere Mutter hätte nicht mit können. Sie ist schon zu schwach für längere Gehwege. Früher half sie mir auch beim Kühe hüten, aber das war ihr irgendwann bald zu langweilig. Dann war sie viel und oft unterwegs und kam mit Geschenken, meist Geldtalern, nach Hause, wo sie behauptete, man habe sie ihr geschenkt. Wenn du meine – äh, unsere Mutter kennen würdest, wüsstest du, dass ihr niemand was schenkt.“

„So schlimm?“, fragt Gitta nach und ist dabei nur halb beim Gespräch. Viel mehr achtet sie auf den Wasserspiegel, der immer tiefer wird und sich links vom Wasser und dem Felsen ein schmaler Weg bildet. Sanft leitet sie den erzählenden Blauen auf den Weg, wo sie langsam weitergehen und gerade noch nebeneinander Platz haben.

„Sie mag die Menschenwesen nicht und zeigt es ihnen auch. Eigentlich hasst sie alles. Ich glaube, als sie geboren wurde und ihren Kopf aus dem Schoß ihrer Mutter steckte, hasste sie schon, was sie wahrgenommen hat.“

„Ich kann sie verstehen“, meint Gitta nun doch etwas interessierter. „Das Leben ist auch Scheiße. Als Kind geht es ja noch. Da bist du arglos und denkst nicht weiter als bis zur nächsten Minute, wenn überhaupt. Da ist alles leicht, aber auch wieder schwer, weil du als Kind nicht die Möglichkeiten wie ein Erwachsener hast. Und wenn du die Möglichkeiten hast, lassen dich die anderen nicht tun, was du willst.“

„Meine Mutter hat drauf geschissen, - wie sie selbst es nennen würde. Sie tat immer, was sie wollte und sie nahm sich, was sie wollte.“

„Hat sie auch Menschenwesen umgebracht?“ fragt Gitta etwas leiser.

„Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen, aber ich würde es ihr zutrauen.“



Der Weg wird breiter und die Felsen verschwinden. Das Meer, das sich vor den beiden ausbreitet, wirkt wie glatter, schwarzer Teer. Es ist ruhig. Keine einzige Welle, bis am Horizont ein Segelschiff auftaucht. Ganz sanft beginnt sich das Wasser zu kräuseln. Aber so richtig wild und hoch werden die Wellen auch dann nicht, als das riesige Schiff vor Gitta und dem Blauen wie durch Zauberhand hält. Ein Steg wird herab gelassen.

„Einer nach dem anderen“, dröhnt eine dunkle und etwas hohle Stimme von oben.

„Ladys first“, meint der Blaue charmant und Gitta steigt noch.

Sie hat ein etwas mulmiges Gefühl, als sie vor einer hohen, dürren Gestalt im schwarzen Kapuzenmantel steht.

„Hab keine Angst. Hier gibt es nichts zu fürchten, als deine eigenen Gedanken“, sagt die hohle Stimme, die von ganz wo anders zu kommen scheint als von Gevatter Tod.

„Meine eigenen Gedanken?“ echotet Gitta.

„Das, was da oben herum spinnt“, lacht Tod und legt einen Knochenfinger an Gittas Stirn. „Das, was du nicht in der Hand hast. Dieses Hirngespinst, - eigentlich Traumgespinst, das seine eigenen Wege geht, ohne dich zu fragen, ob es das auch darf oder soll.“

Gitta ist erstaunt.

„Komm, setz sich an Deck. Wir haben hier so schöne, bequeme Liegen am Pool. Leider ist heute ein etwas diesiger Tag. Aber vielleicht scheint bald die Sonne, dann ist es hier oben wundervoll“, ladet Gevatter Tod sie ein und Gitta staunt wieder, als sich das Segelschiff in ein luxuriösen Kreuzfahrtschiff entpuppt.

„Ich erzähl dir mal, was jetzt alles passieren wird“, beginnt Tod, „aber du musst gut zuhören. Es wird dich vielleicht erschrecken, weil du noch immer nicht ganz du bist und dieses Etwas in deinem Kopf noch immer die Oberhand hat. Du weißt doch, dass in deinem, wie in jedem Körper eines Lebewesens, alles wie von selbst funktioniert. Du atmest von selber, verdaust von selber und und und. Meinst du, du handelst und denkst von selber?“

Gitta zieht die Schultern noch und hält die Hand vor die Augen, da nun doch die Sonne hinter einer schneeweißen Wolke erscheint.

„Wenn du ganz nach innen gehst – du weißt schon, was ich meine. Deine Mutter konnte das immer gut, wenn sie unter ihrem Baum saß. Sie versuchte abzuschalten, - dieses Werk da oben“, sagt Tod lächelnd (schon gut, ich wiederhole es nicht!), neigt sich von seinem Liegestuhl zu Gitta rüber und legt wieder einen seiner Knochenfinger an ihre Stirn. „Nichts zu denken fällt den Menschenwesen besonders schwer, aber deine Mutter schaffte es für eine Weile und befand sich in diesen Momenten ganz bei ihr selbst. Na ja, fast ganz, denn wäre sie ganz bei ihr gewesen, wäre sie nicht mehr in dieser Illusion, die ihr die Welt nennt.“

„Du meinst, das was ich sage, tue und denke, bin nicht ich?“ fragt Gitta und sieht Tod an, als wäre er der Verrückte.

„Wer bist du?“ fragt Tod und Gitta legt eine lange Nachdenkphase ein.


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