Fast nie geschieht es, dass irgendjemand im Saal gegen diese Formen der Nötigung aufbegehrt. Wer erlebt, wie Hellinger seine Aufstellungs-Kandidaten mürbe macht, begreift, warum: Minutenlang seziert Hellinger eine Mittdreißigerin mit seinem Blick, bevor er sie stockend erzählen lässt: Noch nie hatte sie einen Partner. "So lange du noch lächelst, kann ich mit dir nicht arbeiten", fertigt er sie zunächst ab. "Wer lächelt, ist mit der schlimmen Sache einverstanden, die er schildert", erklärt Hellinger den beifällig nickenden Zuschauern. Die Klientin bekommt einen roten Kopf. Keine Chance für eine Erwiderung. Erst als sie anfängt zu weinen, wird er gnädig: "Na gut, ich versuch mal was für dich."
Die Frau ist gebrochen, wehrlos und mit den Nerven am Ende, bevor die Sache überhaupt angefangen hat. In ihrem inneren Aufruhr würde sie nach jedem rettenden Strohhalm greifen. Also folgt sie dem Therapeuten. Willenlos. Auch die "Stellvertreter" agieren unter Gefühlsdruck.
wirklich ein schönes beispiel. ich lade ein, es mal punkt für punkt durchzugehen und unter die oberfläche zu schauen.
"Fast nie geschieht es, dass irgendjemand im Saal gegen diese Formen der Nötigung aufbegehrt."
fast nie heißt, dass es schon hier und da geschieht. dass es sich um "formen der nötigung" handelt, ist ein urteil der journalistin. offenbar empfindet sie kommunikation ab einer gewissen intensität als nötigung - was vermutlich eher mit ihr zu tun hat als mit der situation, die sie beurteilt.
"Wer erlebt, wie Hellinger seine Aufstellungs-Kandidaten mürbe macht, begreift, warum: "
auch das ist ein weiteres abwertendes urteil, bevor überhaupt geschildert wird, was sache ist. der leser soll schon in die richtige stimmung gebracht werden, um das folgende auch mit der brille der journalistin zu lesen. was hier als "mürbe machen" denunziert wird und suggeriert, dass hier mit taschenspielertricks leute gefügig gemacht werden, zeigt sich zum glück in der beschreibung der folgenden interaktion zwischen hellinger und klientin:
"Minutenlang seziert Hellinger eine Mittdreißigerin mit seinem Blick, bevor er sie stockend erzählen lässt: Noch nie hatte sie einen Partner."
da bekommt eine frau aufmerksamkeit, die es sonst nicht gewohnt ist. mit dem blick "sezieren"? nein, einfach genau hinschauen, nicht in journalistischer oberflächlichkeit rasch mal einen überblick verschaffen. es ist schwer, den wahrnehmenden blick eines anderen auszuhalten, klar. es tut aber auch gut, gesehen zu werden. wer "minutenlang" aufmerksam wahrgenommen wird, spürt: ich habe gewicht. ich werde nicht übersehen. es geht mir nahe ... vielleicht sogar sehr nahe im augenblick, und ich würde mich lieber verstecken, aber ... ich bin ja hier, um weiterzukommen ... und wenn der mich so genau anschaut, wenn der meint, dass ich wichtig genug bin, dann erzähle ich halt mal...
"So lange du noch lächelst, kann ich mit dir nicht arbeiten", fertigt er sie zunächst ab. "Wer lächelt, ist mit der schlimmen Sache einverstanden, die er schildert", erklärt Hellinger den beifällig nickenden Zuschauern.
so ist es. das verlegene lächeln ist verständlich, aber es signalisiert auch: ich bin noch auf distanz zu dem, was mich bewegt. ich lasse mich noch nicht auf die tiefe ein. und wenn die begegnung mit der tiefe verweigert wird, wie sollte an einer tiefgreifenden lösung gearbeitet werden? und: hellinger fertigt sie ab? er sagt: so kann ich - ich! - nicht mit dir arbeiten. er sagt nicht: du bist schuld daran, dass ich nicht mit dir arbeite. was er hier klar, ehrlich und direkt auf den punkt bringt ist: "für meine art zu arbeiten ist es erforderlich, dass du das risiko eingehst, dich dem zu stellen, was dich aus der tiefe heraus bewegt. wenn du das nicht möchtest, sondern es vorziehst, dein schicksal als eine belanglosigkeit zu betrachten, über die du lieber lächelst, dann kann ich dir nicht helfen." damit ist der klient auch in seine eigene verantwortung gestellt (ohne die ihm niemand helfen kann).
"Die Klientin bekommt einen roten Kopf. Keine Chance für eine Erwiderung. Erst als sie anfängt zu weinen, wird er gnädig: "Na gut, ich versuch mal was für dich."
der rote kopf signalisiert, dass hier nicht nur das gehirn erreicht wurde, sondern tieferes - der körper reagiert. die arbeit hat schon längst begonnen... und selbstverständlcih hätte sie die chance zu einer erwiderung. sie zieht es aber offensichtlich vor, sich auf die begegnung mit den tieferen bewegungen ihres lebens einzulassen. sie ist über eine hohe hürde geklettert, aber darum ist sie schließlich gekommen... warum sollte sie jetzt opponieren? und was hier als "gnädig werden" denunziert wird, ist der einstieg in die nächste stufe - die tränen signalisieren: es kommt in fluss. es kann sich wirklich bewegen. und auch da sagt er nicht: ich tu etwas für dich - sondern: ich versuche. denn das wär die große versuchung: etwas für die weinende zu tun, sie in den arm zu nehmen und zu trösten, "ist doch nicht so schlimm..." ... und alles bleibt wie gehabt. nein, "ich versuche" bedeutet: die klientin bleibt weiterhin in ihrer verantwortung, es liegt auch an ihr, am ergebnis dieses versuchens mitzuwirken.
"Die Frau ist gebrochen, wehrlos und mit den Nerven am Ende, bevor die Sache überhaupt angefangen hat. In ihrem inneren Aufruhr würde sie nach jedem rettenden Strohhalm greifen. Also folgt sie dem Therapeuten. Willenlos. Auch die "Stellvertreter" agieren unter Gefühlsdruck."
einmal mehr ein urteil der journalistin. sie erträgt es schwer, eine weinende, mit den geschicken ihres lebens konfrontierte frau zu sehen. zu oft hat sie vermutlich selber schon mit den emotionen ihrer leser/innen gespielt und die verbale und bildliche darstellung fremden leidens für ihre stories genutzt... damit kann man spielen und auflage machen, aber sich dem wirklich stellen? wer ist hier mit den nerven am ende? der innere aufruhr, der griff nach dem rettenden strohhalm ... nun, hier gibt es nicht jeden strohhalm, hierher ist diese frau gekommen, um eine ganz konkrete, spezifische hilfe in anspruch zu nehmen. ist es nicht journalistische entmündigung, wenn nun dieser frau unterstellt wird, sie wäre quasi zu dumm, sich um sich selbst zu kümmern? und die stellvertreter agieren unter gefühlsdruck ... wie denn sonst? es ist die aufgabe der stellvertreter, das auszudrücken, was sie im feld empfinden - sie haben keine interpretationen, keine bewertungen der situation abzuliefern, sondern durchaus den mehr oder weniger starken druck der situation wiederzugeben. dieser letzte satz zeigt überdeutlich, was die journalistin von der methode des familienstellens begriffen hat: nichts. sie sieht nur eine oberfläche. und die hält sie für die wirklichkeit. davon lebt der intellektuellen-boulevard des "spiegel". sich an der entrüstung über fremde schicksale aufgeilen. emotionalen mehrwert aus der ausbeutung des schicksals dritter lukrieren.
nochmals danke für das zitat, zauberin. es hat vieles deutlich gemacht!
alles liebe, jake