Ablenkungsmanöver gegen die Verzweiflung

Allegra83

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11. Dezember 2004
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Schwechat bei Wien
Ich saß neben Anne auf dem Beifahrersitz und war endnervös. Die dumme Kuh hatte mich doch tatsächlich überredet, mit ihr zu einer Wahrsagerin zu fahren.
Die wohnte offensichtlich am Ende der Welt, denn wir waren schon eine Stunde unterwegs. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, mitzufahren?
„Glaubst du tatsächlich an diesen Hokuspokus?“ fragte ich Anne.
Sie lachte. „Keine Ahnung. Aber ich kann nicht mit ansehen, wie du immer wirrer wirst und verzweifelst.“
„Und was hat diese Wahrsagerin damit zu schaffen?“ fragte ich verwirrt. „Und überhaupt, die kostet 45 Euro, ich weiß gar nicht, wieso ich das bezahlen soll, wo ich doch gar nicht hinmöchte!“
Anne lachte noch mehr. „Wer würde nicht 45 Euro oder auch seine linke Hand geben, um seine Zukunft zu erfahren?“
Die wollte mich wohl verarschen. Beleidigt schwieg ich.
„Vielleicht sagt sie dir etwas über Michael. Wie du an ihn rankommen kannst, oder so.“
Ich schwieg immer noch.
„Oder sie sagt dir etwas über einen anderen Typen, was auch immer, es wird dich aufmuntern!“
„Naaaa.. und was, wenn sie mir sagt, dass ich morgen sterbe? Oder, dass Michael sich nie wieder bei mir melden wird, weil er sowieso nur mit mir ins Bett wollte?“
Jetzt lachte Anne so sehr, dass sie sich am Lenkrad festhalten musste.
„Wir sind gleich da, Süße.“
Anne hielt vor einem netten Einfamilienhaus in der absoluten Einöde. Es gab sogar Kundenparkplätze. Die Eingangstür stand offen. Zögernd gingen wir hinein und auch Anne war längst nicht mehr so cool, wie sie tat.
Es gab im Vorraum eine Art Wartesaal. Wir waren die Einzigen. Nervös zündete ich mir eine Zigarette an. Ich konnte immer noch zurückziehen.
Nach einer viertel Stunde öffnete sich eine Tür und eine Frau um die vierzig trat heraus. Sie sah absolut normal aus. Ich hatte mir ein Weib mit wallendem Haar, einer Warze auf der Nase und in bunten Gewändern vorgestellt. Die Frau hatte Jeans und Pulli an, eine gerade Nase und ganz kurze Haare. Komischerweise fühlte ich mich betrogen. Die sollte meine Zukunft voraussagen? Ohne Kristallkugel und ohne Warze auf der Nase?
Sie bat mich herein und stellte sich mir als Frau Burgstaller vor.
Frau Burgstaller, also wirklich. Warum hieß sie nicht Madame Petrowski?
Ich setzte mich ihr gegenüber und sah, dass auf dem Tisch stinknormale Schnapskarten lagen. Ich würde Anne den Hals umdrehen, soviel stand fest.
Frau Burgstaller befahl mir, die Schnapskarten durchzumischen. Dann musste ich mit der rechten Hand einen Stoß abheben und ihn ihr geben.
Sie legte die Karten der Reihe nach auf den Tisch. Lange Zeit starrte sie nur darauf ohne ein Wort zu sagen. Sie zündete sich eine Zigarette an. Endlich sprach sie.
„Sie haben sehr gelitten in letzter Zeit, nicht wahr, meine Liebe?“
„Sie fühlen sich gefangen.“ Zögernd nickte ich. „Sie fühlen sich in Ihrem Beruf überhaupt nicht wohl. Aber ich sehe, dass sie bald die Arbeitsstelle wechseln werden. Dort werden Sie viel glücklicher sein. Sie werden eine Chefin haben, mit der sich ganz toll verstehen werden. Ich sehe auch ein paar familäre Probleme. Mit Ihren Eltern.“ Sie sah mich fragend an.
„Sie wollen sich scheiden lassen,“ murmelte ich. Frau Burgstaller nickte.
Dann schüttelte sie den Kopf. „Aber sie werden es nicht tun, meine Liebe. Es wird zwar noch einige Zeit dauern, aber sie werden sich auf jeden Fall wieder zusammenraufen.“
Ich nickte.
„Sie scheinen ein richtiges Glückskind zu sein. Sie werden niemals ernst erkranken und ich sehe auch keine Schicksalsschläge. Sie werden sehr glücklich werden.
Aber jetzt haben Sie Liebeskummer, nicht wahr, meine Liebe?“
Wieder nickte ich. Langsam zog ich ein Foto von Michael hervor und gab es ihr.
Lange betrachtete sie das Bild.
„Ein schwieriger Fall, der Junge. Waren Sie schon intim mit ihm?“ fragte sie.
Ich war mir sicher, dass mein Gesicht knallrot war. Ich nickte.
„Er hat mit einer anderen Beziehung noch nicht abgeschlossen. Er vertraut nicht. Er hat innere Blockaden, die er nur sehr schwer loswerden kann. Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie sich das antun wollen.“ sagte sie.
„Ich möchte ihn unbedingt. Ich würde sehr viel tun für ihn. Ich möchte ihm beweisen, dass ich für ihn da bin, dass ich ihn wirklich liebe und dass er mir vertrauen kann.“ brauste ich auf.
„Das wird sehr, sehr schwierig. Aber es ist machbar. Seien Sie freundlich zu ihm, aber niemals fordernd. Er hasst Stress und er hasst es, wenn er unter Druck gesetzt wird. Sie müssen behutsam vorgehen. Immer unverbindlich bleiben. Dann wird er von selbst kommen.“ Ich strahlte. Mehr wollte ich gar nicht mehr hören.
Aber natürlich sprach sie trotzdem weiter. „Er ist allerdings nicht der Richtige für Sie. Sie werden in einiger Zeit durch eine neue Arbeitskollegin Ihren zukünftigen Ehemann kennenlernen, mit dem Sie auch zwei Kinder haben werden. Er wird Krebs, Wassermann oder Fisch vom Sternzeichen sein. Er wird groß und schlank sein und dunkle Haare haben. Seine Eltern sind sehr wohlhabend und werden Ihnen beiden helfen, ein Haus zu finanzieren. Außerdem wird er ebenfalls im sozialen Bereich tätig sein.“
Mir stellte es die Haare auf. Ein Haus? Zwei Kinder?
Frau Burgstaller musste meinen angewiderten Blick gesehen haben, denn sie lächelte. „Die Prioritäten ändern sich, meine Liebe.“ meinte sie abschließend.

Zurück im Auto erzählte ich Anne von meiner Sitzung. Sie sah befriedigt aus. „Na bitte. Selbst wenn sie eine Schwindlerin ist, sie hat dir neuen Mut gemacht. Endlich sehe ich dich wieder lachen!“ meinte sie.

Sie hatte Recht. Vielleicht war die Wahrsagerin doch nicht so übel. Immerhin hatte sie das mit meinen Eltern gewusst. Warum also sollte sie sich bei Michael irren?
2
Es war Freitag Abend. Und es war Vollmond. Ich lag in der Badewanne und reinigte meine Aura.
Laut Anne war Freitag bei Vollmond der beste Tag für ein Liebesritual. Vor ein paar Tagen war sie damit angekommen. Weiß der Teufel, woher sie immer solche Ideen hatte. Ich glaubte nicht an diesen Mist, aber nachdem ich mir die Anleitung durchgelesen hatte, dachte ich, warum nicht mal versuchen. Wenn es nicht hilft, so wird es auch nichts schaden.
Ich stieg aus der Wanne und hüllte mich in mein fließendes weißes Kleid. Ich sah aus wie das Christkind.
Im Wohnzimmer hatte ich schon vorher meinen Couchtisch in einen Altar umgewandelt. Ich hatte ein weißes Tischtuch aufgelegt und eine rote Kerze bereitgestellt.
Ich kniete vor meinem „Altar“ nieder und zündete die Kerze an.
Auch eine kleine Schachtel hatte ich schon hergerichtet.
In dieser vermischte ich nun Thymian mit Rosmarin, genauso, wie es in der Anleitung beschrieben war.
Danach nahm ich ein Blatt Pflanzenpergament zur Hand und holte eine Feder und Taubenbluttinte hervor. Diese eigenartigen Zutaten hatte Anne besorgt.

Sorgfältig schrieb ich mit dem Taubenblut folgenden Zauberspruch auf das Pergament:

Ich bitte die große Göttin der Liebe:
Mach, dass Michael sich in mich
verliebt. Ich danke dir, große Göttin
der Liebe, dass du meine Bitte erhört hast.
So soll es sein.

Ich streute die Thymian-Rosmarin Mischung über die feuchte Tinte und ließ es trocknen.
Währenddessen zog ich mir einen Jogginganzug an und tat das Pergament in die dafür vorgesehene Schachtel. Ich lief damit in den Hof hinunter und buddelte mit den Händen ein Loch in die Wiese. Dort vergrub ich dann das Pergament und wiederholte den Zauberspruch noch dreimal.
In meinem ganzen Leben war ich mir noch nie so blöd vorgekommen.


„Und, hast du alles so gemacht, wie es in der Ritualanleitung gestanden ist?“ fragte Anne ganz aufgeregt am nächsten Tag.
Ich nickte. „Ich wüsste gerne, wo du immer solche Sachen auftreibst.“
„Das wird nicht verraten.“ ärgerte mich Anne lachend. „Hauptsache, es funktioniert und das wird es. Vorausgesetzt, du hast alles nach Plan gemacht.“
„Na ich bin gespannt.“ sagte ich misstrauisch.
„Aber das war noch längst nicht alles.“ versprach Anne Unheil verkündend.
„Nein! Was denn noch? Muss ich Tieropfer machen?“ fragte ich entsetzt.
„Sei nicht so dämlich. Pack lieber Sportsachen ein und komm mit.“
Ich wusste, dass sie keinen Widerspruch gelten lassen würde, wenn sie in diesem Ton mit mir sprach. Also tat ich, was sie verlangte und setzte mich mit meiner Sporttasche zu ihr ins Auto.
„Wohin verfrachtest du mich denn nun wieder?“ wollte ich wissen.
Anne gab mir keine Antwort und erzählte mir von irgendeinem Typen, den sie kennengerlernt hatte. Ich hörte nur mit halben Ohr zu, viel dringender interessierte mich, was ich nun wieder für mein Glück tun musste.
Vielleicht sollte ich einfach darauf pfeiffen.
Wir hielten vor einem Fitnessclub, vor dem auch Jörg schon auf uns wartete. Fragend schaute ich ihn an, doch er grinste nur. „Wirst schon sehen, Liebchen!“ sagte er vage.
Vielleicht fanden die beiden mich zu fett und wollten mich nun zwingen, Aerobic zu machen. Naja, das war gar nicht so übel. Ein paar Kilo weniger konnte ich schon vertragen.
Als wir umgezogen waren standen wir mit anderen Teilnehmern im Übungssaal. Jörg war der einzige Mann. Doch dann kam der Trainer herein. Er war ein Bild von einem Mann. Ich versuchte, meine Beine hinter Jörgs zu verstecken. Aber der Trainer war mindestens genauso schwul wie Jörg. Er stellte sich vor uns hin und sah durch die Reihen.
„Herzlich willkommen bei der ersten Einheit unseres Gogo-Dance Kurses!“ trompetete er mit dröhnender Bassstimme.
Ich erstarrte. Gogo-Dance Kurs? Wütend blitze ich Anne an.
„Ich habe nicht den Ehrgeiz, Callgirl zu werden.“ zischte ich.
Anne lachte nur. Dann ging es los.
Der Trainer, der Patrick hieß, erklärte uns die Grundlagen des Gogo-Dances. Soweit ich mitbekam ging es hauptsächlich ums Hüftenwackeln und Busen rausstrecken. Ich schämte mich entsetzlich.
Er machte uns ein paar Übungen vor und wir mussten sie nachmachen. Dann legte er eine Kassette ein. Joe Cocker, was sonst?
Er bewegte sich lasziv im Takt der Musik und wir imitierten ihn. Ich genierte mich maßlos und guckte mich verstohlen um, ob die anderen Teilnehmer schon mit dem Finger auf mich zeigten und lachten.
Aber niemand achtete auf mich. Alle machten begeistert mit. Ich drehte mich zu Jörg um. Er hatte die Zungenspitze zwischen die Zähne geklemmt und konzentrierte sich auf die Schritte.
Also fügte ich mich meinem Schicksal und begann mitzutanzen. Es war gar nicht so übel, musste ich zugeben. Wie alle anderen ließ ich meine Hüften kreisen und schwang hemmungslos meine Beine in die Höhe. Ich ging in die Knie und wackelte sexy mit dem Hintern. Ich streckte den Busen raus und versuchte, genauso lüstern dreinzuschauen, wie die anderen.
Eigentlich machte es richtig Spaß.
Nach der Stunde war ich total ausgepowert. Jörg, Anne und ich setzten uns noch in die Kantine und tranken Red Bull.
„Das war doch super, oder?“ fragte mich Anne.
„Besonders dieses Schnuckelchen Patrick.“ antwortete Jörg an meiner Stelle. „Ich denke, ich werde diesen Kurs fertig machen.“
„Ja, ich auch! Es war nicht so schlimm, wie ich anfangs gedacht hatte.“ meinte ich.
„Na, vielleicht kannst du ja bald deinem Michael was vortanzen. In der nächsten Stunden lernen wir die Grundlagen des Strippens.“ erklärte Anne.
Das war mir nun doch zuviel. „Strippen? Ich zieh mich doch nicht vor diesem Trainer aus! Der sieht viel zu gut aus!“ protestierte ich.
Jörg schnaubte. „Ach was, der sieht dich nicht mal an. Der ist stockschwul! Der sieht höchstens mich an!“
Anne und ich lachten. „Hauptsache, du bist nicht eingebildet!“
Jörg reckte die Nase in die Luft. „Warte nur ab. Bald wird er vor mir in meinem Schlafzimmer strippen. Nächstes Mal frage ich ihn, ob er mit mir was trinken gehen will!“
Beschwingt fuhren wir nach Hause. Ich fühlte mich richtig gut. So hatte ich mich schon lange nicht mehr verausgabt.
Wie konnte es nur sein, dass Anne und Jörg immer genau wussten, was mir gut tun würde?
 
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Hallo Hoffend!

hast du schon den Rest von mir gelesen? Ich hab einige Kapitel meines Romans reingestellt, aber leider nicht durchnummeriert.

Treads: Marc, Auszug meiner Verrücktheiten, eine tolle Nacht, die Ernüchterung danach, wie alles begann....

lies mal!

Und vielen Dank fürs Lesen. Hoffe, es gefällt dir!

LG Allegra :kiss3:
 
Hallo Allegra!

Respekt. Du schreibst absolut interessant und Du hast einen feinen Sinn für Humor.

Bitte schreib doch noch was! :guru:


Lg
Adelin
 
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