Abgeschlachtet

Tolkien

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Er war Krebs, astrologisch gesehen.

Einfühlsam und Feinfühlig. Bekam viel mit. Seine Antennen waren immer ausgefahren, ob er wollte oder nicht. Doch sein harter Vater hatte keinerlei Verständnis für ihn. Für ihn taugten Männer nichts, die "weich" waren. Auch seine vorsichtig hervorlukende künstlerische Neigung wurde sofort im Keim erstickt. Brotlose Kunst. Taugt zu nichts. Mit 14 Jahren wurde er in eine Metzgerlehre gezwungen um ihn hart zu machen.

Jeden Tag den Tod um sich musste er sich etwas einfallen lassen um sich abzugrenzen. Die Angst der Tiere vor dem was ihnen bevorstand, ihre angsterfüllten Augen, manchmal wie ein Flehen um Gnade, dass viele Blut.... Doch es gab kein Entkommen. Sie hatten keine Chance. Er musste es tun. Es wurde von ihm verlangt. Es war seine Arbeit. Vater hatte es so gewollt. Er konnte sich nicht dagegen wehren, er hätte ihn halb tot geschlagen. Also setzte er das Messer an...

Beim allerersten Mal war es ganz besonders schlimm. Das Tier schrie wie am Spiess, zappelte, wand sich angsterfüllt hin und her in seiner ausweglosen Lage. Und er.... zögerte... hatte Mitleid... setzte neu an... dann schliesslich der Schnitt... ein schmerzvoller Schrei. Das Blut schoss schwallweise aus der grossen Wunde, lief ihm über seine Stiefel und spritzte gegen seine Ölschürze. Wild schwang das Tier an den aufgehängten Beinen hin und her.

"Gut gemacht!", klopfte sein Lehrherr ihm anerkennend auf die Schulter.

Immer wieder musste er es tun. Durch Mark und Bein gingen ihm immer wieder die entsetzlichen Schreie. Sie zappelten wie wild an der Kette, die sie vom Boden hochzog. Den Kopf nach unten bluteten sie mit weit aufgerissenen Augen aus. Sein tiefer Schnitt in die Kehle hatte alle Schleusen geöffnet. Manchmal wenn sie schwächer wurden legte er seine Hand an ihren Körper. Fühlte, wie das Leben langsam wich...., begleitete sie auf den letzten Metern... und war froh wenn es endlich überstanden war. Für die Tiere...und für ihn.

Er hasste seinen Vater dafür.

Wenn Fleisch oder Wurst gemacht wurde, fühlte er sich etwas besser. Er konnte etwas verarbeiten, würzen, herstellen. Es war nützlich für die Menschen, denn alle mussten essen. Mit Leib und Seele war er dann dabei, gab sich voll rein mit Allem was er gelernt hatte und wurde so ein richtig guter Metzger. Es liess ihn für den Moment vergessen, was er zuvor hatte tun müssen. Es war vorbei. Doch manchmal da holten sie ihn wieder ein.... die Schreie, die rote Flut..., diese entsetzliche Angst, kein Entkommen...

Es zerriss ihm fast das Herz wenn er nur daran dachte.

Er wusste wie er Fleisch und Wurst verarbeiten sollte aber wie er diese Gefühle verarbeiten sollte, hatte ihm keiner gesagt. Seinem Vater konnte er damit nicht kommen, er hätte ihn bestenfalls lächerlich gemacht und verspottet oder aber windelweich geprügelt, je nachdem wie er gerade drauf war. Vater trank oft und viel und dann hielt man sich auch besser nicht in seiner Nähe auf.

Er liess sich nichts anmerken von seiner Not die er hatte wenn geschlachtet wurde und für die anderen wirkte er ganz "normal". Er hatte auch niemanden, dem er sich hätte anvertrauen wollen. Er hasste das Schlachten. Jeden Tag hatte er mit dem Tod zu tun. Mit dem Leid und der Angst der Tiere. Und er konnte es nicht einfach so abschütteln, wenn er Feierabend hatte. Er nahm es mit nach Hause, in sein tägliches Leben, sogar in seine Träume. Blutrote Alpträume liessen ihn manchmal mitten in der Nacht aufschrecken.

Er hasste seinen Vater dafür. Und er hasste sich weil er keinen Ausweg fand, um sich zu befreien. Die Wut in ihm wurde immer grösser.

Sie brauchte dringend ein Ventil, damit sie sich nicht vollends gegen ihn selbst richten würde...
 
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Es ist so tiefschürfend passend geschrieben, dass ich an meinen Grossonkel und seine Söhne denken muss. An die Hofschlachterei, wie sie früher üblich war, nach dem langen Sommer auf der Alp. Und an das viele Fleisch.

Ich bin gespannt, wie die Geschichte weitergeht. Und ob der arme Junge einen Weg gefunden hat…
 
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