Kameltreiber Ali beim Psychiater

27.

„Halt!“, erklang die warnende Stimme eines Matrosen. „Ihr könnt doch nicht einfach mit euren Kamelen hier herumspazieren, als seid ihr in der Taklamakan!“

Ali versuchte zu ergründen, um welche Nationalität es sich bei dem Mann handelte, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte.

„Taklamakakan?“, fragte der Doktor.

„Taklamakan!“, berichtigte der Matrose, während er seine weiβen Handschuhe umständlich auszog. Er trug einen dunkelblauen Overall und einen orangefarbenen Helm.

„Taklamakan“, sagte der Mann erneut, und streichelte Akhbars Hals.

„Und ihr kommt von der Taklamakakan?“, fragte der Doktor. Argwöhnisch beobachtete er den Matrosen. Immerhin wusste man nicht, wie Akhbar auf das Streicheln eines solch schlitzäugigen Fremden reagieren würde. So eine Kamelstampede auf dem Supertanker wäre nicht auszuschlieβen, wenn man Akhbars unberechenbares Temperament berücksichtigt.

„Was ist denn nun dieser Taklamakakan genau?“, fragte der Shrenk, langsam ungeduldig werdend. Akhbar beschnupperte neugierig die Hand des schlitzäugigen Matrosen.

„Die Taklamakan ist eine groβe Wüste im Westen von China, in der Provinz Sinkiang. Ich komme aus Kashgar.“

„Kashgar“, fragte der Shrenk. Diesmal hatte er das Wort richtig nachgesprochen und wurde gleich mit einem freundlichen Blick des Matrosen belohnt.

„Bei Allah, Kashgar!“, rief Ali aus.

Ihre Gedanken schweiften auf die weite Reise nach Kashgar: Schmelztiegel verschiedenster Rassen Asiens, auf dem Hochplateau des Pamir. Bilder von einsamen weiten Steppen und der ehemalige Seidenstraβe die dort vorbeiführte, tauchten in ihr auf.

„Ich gehöre zum Volk der Uiguhren, einer muslimischen Minderheit in China. So floh ich eines Tages zusammen mit meinem Bruder über die Pässe des Karakorum nach Kaschmir und weiter nach Pakistan“, berichtete der Matrose.

„Und in der Taklakakan gibt es auch Kamele?“, erkundigte sich nun der Shrenk.

„Ja, in der Taklamakan gibt es Kamele.“

„Sehr erfreut euch kennen zu lernen“, mischte sich Ali in das Gespräch. „Das ist Doktor Shrenk, ein berühmter Psychiater aus England und ich bin Ali, ein Kameltreiber.“

„Ich heiβe Yusuf.“

„Sehr erfreut, Mister Yusuf. Seid ihr schon lange auf der Ramlah?“, wollte der Doktor wissen.

„Seit zwei Jahren fahre ich mit. Der Kapitän ist ein sehr gerechter Mann.“

„Kapitän Allmalah hat uns erlaubt, unsere Kamele an die frische Luft zu bringen. An ihren Anblick müsst ihr euch gewöhnen.“

Yusuf strahlte. „Dann bin ich beruhigt Mister Ali. Aber reiten dürft ihr nicht an Deck.“

„Unter Deck sicher auch nicht?“, erkundigte sich sofort der Shrenk.

„Nein, natürlich nicht.“ Jetzt musste Yusuf lachen. “Ich fahre seit fünf Jahren auf der VLCC Klasse, aber noch nie habe ich auf einem Tanker ein Kamel zu Gesicht bekommen, geschweige denn Vier!”

„Werter Mister Yusuf, unsere Kamele sind sehr spezielle Kamele“, beruhigte ihn der Shrenk. „Und ihr seid Matrose?“

„Ich bin Ingenieur und verantwortlich für das Pumpensystem an Bord. „Wir werden in wenigen Stunden den Suez erreichen. Es ist dann unbedingt erforderlich, dass die Kamele…“

„Ja, natürlich“, sagte Ali schnell. „ Die Kamele bleiben selbstverständlich bis zum Mittelmeer unter Deck. Wir verstehen ganz und gar ihre Besorgnis und die hohe Verantwortung die sie tragen für das Öl.“

Akhbar stutzte kurz. Ali bemerkte sofort, was ihr Liebling vorhatte. „Akhbar“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Es ist besser du verhältst dich ruhig an Bord, sonst kommen wir in Teufels Küche.“ Aber zu spät. Miriam war bereits um die Ecke losgestürmt und Akhbar schoss hinterher. Auch Suleika und Omar genossen den neuen Duft der Freiheit und jagten den anderen nach.

Ein aufgeregter Shrenk und Ali versuchten auf einem dreihundertsechzig Meter langen Tanker, ihre Kamele einzufangen. Auch Yusuf schrie auβer sich irgendwelche Anweisungen in arabischer Sprache, die der Shrenk nicht verstand. Immer mehr Besatzung erschien an Deck. Bei Allah, ist dieses Schiff endlos lang, fluchte der Shrenk und lief mit entschlossener Miene Ali hinterher. Sogar der Koch und seine Gehilfen kamen aus ihrer Kombüse herbeigeeilt und begafften neugierig die Verfolgungsjagd. Inzwischen heulten die Alarmsirenen oben auf der Brücke. Rote Lampen erleuchteten im Rhythmus der Sirenen.

Ein auf das Schlimmste gefasster Kapitän gab seine Anweisungen über Lautsprecher durch. Die Offiziere oben auf der Brücke waren überzeugt, es handle sich um Piraterie und mehrere Männer von der Besatzung erschienen bewaffnet an Deck.

„Akhbar!“, schrie Ali immer wieder. Akhbar aber rannte so schnell ihn seine Hufe und der wunderbar frische Meereswind trugen. Nach zwei langen Wochen im Stall von Dschidda, hatte er endlich wieder die Gelegenheit, die Freiheit zu genieβen.

Ali wandte sich an die Männer: „Es sind nur meine Kamele“, beruhigte sie diese. „Ihr braucht keine Pistolen.“ Verdutzt sahen die Männer Ali an. „Kamele? Ach die vier Kamele die wir an Bord haben sind ausgebrochen?“ Über ein Walki Talki informierte einer der Männer die Brücke. Der Alarm wurde endlich abgeschaltet. Dann machten sich zwanzig Mann Besatzung lachend auf den Weg, Alis Kamele einzufangen.
 
Werbung:
27.

„Halt!“, erklang die warnende Stimme eines Matrosen. „Ihr könnt doch nicht einfach mit euren Kamelen hier herumspazieren, als seid ihr in der Taklamakan!“

Ali versuchte zu ergründen, um welche Nationalität es sich bei dem Mann handelte, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte.

„Taklamakakan?“, fragte der Doktor.

„Taklamakan!“, berichtigte der Matrose, während er seine weiβen Handschuhe umständlich auszog. Er trug einen dunkelblauen Overall und einen orangefarbenen Helm.

„Taklamakan“, sagte der Mann erneut, und streichelte Akhbars Hals.

„Und ihr kommt von der Taklamakakan?“, fragte der Doktor. Argwöhnisch beobachtete er den Matrosen. Immerhin wusste man nicht, wie Akhbar auf das Streicheln eines solch schlitzäugigen Fremden reagieren würde. So eine Kamelstampede auf dem Supertanker wäre nicht auszuschlieβen, wenn man Akhbars unberechenbares Temperament berücksichtigt.

„Was ist denn nun dieser Taklamakakan genau?“, fragte der Shrenk, langsam ungeduldig werdend. Akhbar beschnupperte neugierig die Hand des schlitzäugigen Matrosen.

„Die Taklamakan ist eine groβe Wüste im Westen von China, in der Provinz Sinkiang. Ich komme aus Kashgar.“

„Kashgar“, fragte der Shrenk. Diesmal hatte er das Wort richtig nachgesprochen und wurde gleich mit einem freundlichen Blick des Matrosen belohnt.

„Bei Allah, Kashgar!“, rief Ali aus.

Ihre Gedanken schweiften auf die weite Reise nach Kashgar: Schmelztiegel verschiedenster Rassen Asiens, auf dem Hochplateau des Pamir. Bilder von einsamen weiten Steppen und der ehemalige Seidenstraβe die dort vorbeiführte, tauchten in ihr auf.

„Ich gehöre zum Volk der Uiguhren, einer muslimischen Minderheit in China. So floh ich eines Tages zusammen mit meinem Bruder über die Pässe des Karakorum nach Kaschmir und weiter nach Pakistan“, berichtete der Matrose.

„Und in der Taklakakan gibt es auch Kamele?“, erkundigte sich nun der Shrenk.

„Ja, in der Taklamakan gibt es Kamele.“

„Sehr erfreut euch kennen zu lernen“, mischte sich Ali in das Gespräch. „Das ist Doktor Shrenk, ein berühmter Psychiater aus England und ich bin Ali, ein Kameltreiber.“

„Ich heiβe Yusuf.“

„Sehr erfreut, Mister Yusuf. Seid ihr schon lange auf der Ramlah?“, wollte der Doktor wissen.

„Seit zwei Jahren fahre ich mit. Der Kapitän ist ein sehr gerechter Mann.“

„Kapitän Allmalah hat uns erlaubt, unsere Kamele an die frische Luft zu bringen. An ihren Anblick müsst ihr euch gewöhnen.“

Yusuf strahlte. „Dann bin ich beruhigt Mister Ali. Aber reiten dürft ihr nicht an Deck.“

„Unter Deck sicher auch nicht?“, erkundigte sich sofort der Shrenk.

„Nein, natürlich nicht.“ Jetzt musste Yusuf lachen. “Ich fahre seit fünf Jahren auf der VLCC Klasse, aber noch nie habe ich auf einem Tanker ein Kamel zu Gesicht bekommen, geschweige denn Vier!”

„Werter Mister Yusuf, unsere Kamele sind sehr spezielle Kamele“, beruhigte ihn der Shrenk. „Und ihr seid Matrose?“

„Ich bin Ingenieur und verantwortlich für das Pumpensystem an Bord. „Wir werden in wenigen Stunden den Suez erreichen. Es ist dann unbedingt erforderlich, dass die Kamele…“

„Ja, natürlich“, sagte Ali schnell. „ Die Kamele bleiben selbstverständlich bis zum Mittelmeer unter Deck. Wir verstehen ganz und gar ihre Besorgnis und die hohe Verantwortung die sie tragen für das Öl.“

Akhbar stutzte kurz. Ali bemerkte sofort, was ihr Liebling vorhatte. „Akhbar“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Es ist besser du verhältst dich ruhig an Bord, sonst kommen wir in Teufels Küche.“ Aber zu spät. Miriam war bereits um die Ecke losgestürmt und Akhbar schoss hinterher. Auch Suleika und Omar genossen den neuen Duft der Freiheit und jagten den anderen nach.

Ein aufgeregter Shrenk und Ali versuchten auf einem dreihundertsechzig Meter langen Tanker, ihre Kamele einzufangen. Auch Yusuf schrie auβer sich irgendwelche Anweisungen in arabischer Sprache, die der Shrenk nicht verstand. Immer mehr Besatzung erschien an Deck. Bei Allah, ist dieses Schiff endlos lang, fluchte der Shrenk und lief mit entschlossener Miene Ali hinterher. Sogar der Koch und seine Gehilfen kamen aus ihrer Kombüse herbeigeeilt und begafften neugierig die Verfolgungsjagd. Inzwischen heulten die Alarmsirenen oben auf der Brücke. Rote Lampen erleuchteten im Rhythmus der Sirenen.

Ein auf das Schlimmste gefasster Kapitän gab seine Anweisungen über Lautsprecher durch. Die Offiziere oben auf der Brücke waren überzeugt, es handle sich um Piraterie und mehrere Männer von der Besatzung erschienen bewaffnet an Deck.

„Akhbar!“, schrie Ali immer wieder. Akhbar aber rannte so schnell ihn seine Hufe und der wunderbar frische Meereswind trugen. Nach zwei langen Wochen im Stall von Dschidda, hatte er endlich wieder die Gelegenheit, die Freiheit zu genieβen.

Ali wandte sich an die Männer: „Es sind nur meine Kamele“, beruhigte sie diese. „Ihr braucht keine Pistolen.“ Verdutzt sahen die Männer Ali an. „Kamele? Ach die vier Kamele die wir an Bord haben sind ausgebrochen?“ Über ein Walki Talki informierte einer der Männer die Brücke. Der Alarm wurde endlich abgeschaltet. Dann machten sich zwanzig Mann Besatzung lachend auf den Weg, Alis Kamele einzufangen.
:LOL:
 
28.

“Doktor ich frage mich ernsthaft, was mit Akhbar los ist.“ Ali schüttelte unmutig den Kopf. Akhbar wendet sich von mir ab. Er frisst kaum, er scheint beleidigt zu sein.“

„In der Tat, werter Ali. In der Tat. Aber ich glaube das ist eher, ähm, eine Art Streik, in den Akhbar getreten ist. Schlieβlich durfte er seit dem Fiasko gestern nicht mehr an Deck, und das nimmt er uns übel.“

„Ach Doktor. Diese sechzehn Stunden durch den Suez müssen wir uns fügen. Kamel-Logik ist eine ganz andere. Und dazu noch die von Akhbar. Wenn es nach Akhbar ginge, würde er drauβen an Land durch die Sanddünen reiten, während unser Tanker gemächlich den Kanal durchquert!“ Ali blickte hinaus auf die Wüste. „In Port Said wäre Akhbar dann wieder zu uns an Bord gekommen. Akhbar wollte mir sein Ehrenwort geben. Wir müssen ja in Port Said, das Erdöl laden, versteht ihr? Das dauert gute Dreiβig Stunden, sagte Yusuf. So denkt Akhbar womöglich, er habe genug Zeit, erneut an Bord zu kommen.“

„Ach Ali. Die letzten zwei Wochen waren wir ohne unsere Kamele. Und?“, fragte der Shrenk und rückte nachdenklich sein Kopftuch zurecht. „Was hat es uns gebracht? Wir kamen in groβe Gefahr, ja von einer Gefahr gerieten wir sofort in die nächste.“

„Ohne Kamele geht gar nichts, Shrenk. Zum Bau dieses Kanals waren fast zweitausend Lastkamele eingesetzt. Wusstet ihr das? Oh, seht mal dort“, rief Ali und deutet nach vorne.

„Die Mubarak Brücke, wir kommen bald nach Al-Quantara.“

Der Shrenk lächelte und meinte: „Somit kommen wir zu dem Schluss, es geht nicht ohne und es geht aber auch nicht mit den Kamelen, oder was sagt ihr, Ali?“

„Davon halte ich nichts Shrenk. Ich halte etwas davon, sich wohl zu fühlen, und sich nicht emotional in solch eine verwirrend klingende Lage hineinzumanövrieren.“

„Hm“, seufzte der Doktor. „Ihr habt da unbedingt Recht.“

„Das lernte ich, Doktor. Ich lernte aufgrund bestimmter Erfahrungen, dass Wohlbefinden inmitten von Widrigkeiten zu regulieren geht. Und das schafft mindestens so gute Laune wie Jogging, Banane und Vollkornbrot. Mit dem Vorteil, gute Laune sich auch dann zu verschaffen, wenn das Vollkornbrot ausgegangen ist und wenn man schlecht zu Fuβ ist.“

„Das sind gute Ansätze.“

Die Brücke kam immer näher. Ali und der Doktor blickten hinauf zu den beiden Pylonen und den Autos, die über die Brücke fuhren und wie kleine Spielzeuge wirkten.

„Eine willkommene Abwechslung, diese Brücke. Wir haben die alten Bindungen gelöst und pflücken in neuer Freiheit die Blumen, die jetzt am Weg stehen“, sprach der Shrenk gewichtig.

„Oh! Das ist ja mal was ganz Neues, was ich aus eurem Munde höre. Also endlich einmal sprecht ihr von keiner Verdrängung?“

„Keinesfalls, werter Ali. Dies wird als hedonische Regulierung bezeichnet.“

Ali seufzte. „Kommt ihr mit zu Akhbar? Wenn es Akhbar nicht gut geht, geht es mir auch nicht gut. Ich möchte ihm ein wenig trösten und ihm sagen, dass er im Mittelmeer erneut an Deck darf.“ Der Shrenk nickte.

„So lasst uns zu ihm gehen, bald wird das Abendessen serviert und wir wollen rechtzeitig erscheinen.“

Der Shrenk und Ali betraten den Salon, wo sie ihre Mahlzeiten am Tisch des Kapitäns einnahmen. Der Shrenk hatte sich in seinen neuen Thobe geworfen und trug ein weiβes Kopftuch. Aber auch Ali konnte mit gleich eleganter Kleidung aufwarten. Nach ihrem Gefängnisaufenthalt und dem Ende ihrer Hadj hatten sie eine dieser luxuriösen Shopping-Malls von Dschidda besucht und sich dort bei einem Herrenausstatter für Saudis eingekleidet.

Kapitän Allmalah, war ein besonders dunkler Saudi, Anfang Vierzig und mit gepflegtem Bärtchen. „Salam Aleikum“, begrüβte er seine Gäste und erhob sich.

„ Aleikum Salam. - Wie weit ist die Ladung des Erdöls vorangeschritten“, erkundigte sich der Doktor gleich.

„Das Beladen dürfte in der nächsten Stunde abgewickelt sein“, antwortete der Kapitän. „Wir liegen im Zeitplan. Es wird nun der genaue Gehalt des Petroleums überprüft.“

„Überprüft?“ Kapitän Allmalah nickte. “Es geht dabei um das genaue spezifische Gewicht, so wie um den Schwefel-Wassergehalt und um die Kontrolle der Lademenge. Bei mir kann so was nicht vorkommen, dass plötzlich 400 Tonnen fehlen.“

„Fehlen?“ fragte ein verdutzter Shrenk.

„Ist alles schon vorgekommen.“

„Und wenn wir damit fertig sind, geht die Reise weiter?“, fragte Ali, die an ihren Akhbar denken musste, der unter Deck auszuharren hatte.

„Ja, Mister Ali. Ihre Kamele dürfen dann wieder an Deck und ich hoffe ohne erneute tumultuarische Ausbrüche.“

Ali errötete leicht und entschuldigte sich für diesen unvorhergesehenen Zwischenfall. „Ich kenne so was gar nicht bei meinen Kamelen. - Bei Allah den ich preisen will. Das Essen an Bord schmeckt wirklich vorzüglich!“, lobte sie um schnell vom Thema abzulenken.

„In der Tat, die Garnelen schmecken vorzüglich“, fiel der Shrenk mit ein. „Ihr habt einen hervorragenden Koch an Bord. Er verwöhnt unseren Gaumen mit den Köstlichkeiten des Orients. Woher kommt euer Koch?“

„Das Essen ist wichtig, da wir sonst wenig Abwechslung an Bord haben. Unser Koch ist Libanese und ich schätze mich glücklich ihn an Bord zu haben.“

Durch die Fenster des Salons konnte man die Arbeiter beobachten, wie sie die Beladung des Öls überwachten und den Druck zwei dicker Schläuche überprüften, die an der Ramlah festgemacht waren und dem Transfer des Erdöls dienten. Starke Flutlichtscheinwerfer sorgten für optimale Beleuchtung.

„Allein die Durchfahrt durch den Suez kommt mich auf 315.000Dollar. In Rotterdam nochmals 130.000 Dollar Hafengebühr. Es geht nicht nur um den reinen Transport, verstehen sie Doktor Shrenk?“ Der Doktor nickte, ein wenig eingeschüchtert über solch hohe Summen.

„Es geht da um hochkomplexe Verbindungen von Händlern, Mittelsmännern und Maklern die eine wichtige Schlüsselrolle haben, wenn Öl von dort nach dorthin transportiert wird.“

„Wie meint ihr das?“, der Doktor trank einen Schluck eisgekühltes Wasser aus einem Kristallglas und blickte den Kapitän verständnislos an.

„Unser Ölminister versprach zwar unser Land wolle jeden Tag 1,3 Millionen Barrel mehr fördern, um den Preisdruck zu stoppen. Die Notierungen gaben auch erst mal nach, aber nur für kurze Zeit, da folgen neue Hiobsbotschaften. Ein Sturm im Golf von Mexiko und der drohende Kollaps der Stromversorgung Chinas, das Deutschland als drittgrößten Ölimporteur der Welt überholt hat. Woher soll das Petroleum für die Chinesen herkommen?“

„Ja, in der Tat!“ Der Shrenk kratzte sich am Kopf, aber nur ganz kurz, es fiel ihm ein, dass er die Guthra auf dem Kopf trug und er sich im Salon eines Supertankers befand, dort mit dem Kapitän speiste und Kopfkratzen als auβerordentlich schlechtes Benehmen gilt.

„Wo also sollen wir soviel Petroleum für die Chinesen herbekommen?“, fragte der Shrenk verwirrt. Sah er unlängst die Chinesen noch mit Fahrrädern unterwegs. In Peking, Shanghai und auf dem Land. Womöglich auch in Kashgar? Ach in Kashgar waren es eher Kamele. Der Doktor hüstelte leicht nervös.

„Die Ölreserven sollen sich doch dem Ende neigen und China wird nun auch noch die letzten Reste aufbrauchen?“

„Nein, Doktor“, beruhigte ihn der Kapitän. „Das Ölzeitalter wird lange vor einem Versiegen der Quellen zu Ende gehen. Versteht ihr? So wie das Kohlezeitalter lange vor einer Erschöpfung der Reserven zu Ende ging.“

„Hm“, war alles, was der Shrenk darauf zu sagen hatte.

„Eins ist jedoch unbestritten“, fuhr der Kapitän fort. „Der Ölhahn lässt sich nicht, wie so oft gefordert, einfach aufdrehen.“

„Wie meint ihr das?“, fragte der Doktor, der das alles sowieso nicht so richtig begriff. Weder das mit den Chinesen, die so viele waren, und nicht nur das, es wurden immer mehr. Ihm wurde daran zu denken ganz schwindlig. Und nun wollen sie auch das Öl. Er seufzte laut. So laut, dass Ali ihm unter dem Tisch unsanft einen leichten Fuβtritt versetzte.

„In Fachkreisen spricht man von Reservoir-Development.“

„Und was heiβt das und wie stehen die Chinesen dazu?“, fragte der Shrenk noch besorgter als eben.

Nachbauen können sie ja alles, dachte der Shrenk. Nur keine Ölquellen. Die hat unser Allah geschaffen. Da endlich huschte ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht.

„Allahs Wege sind unergründlich, so auch die Wege des Öls“, beantwortete der Kapitän dem Shrenk die Frage. „Das bedeutet dass jedes Ölvorkommen über Jahrzehnte erst behutsam entwickelt werden muss. Das sensible Gleichgewichtsverhältnis von Öl, Gas und Wasser darf nicht zerstört werden.“

Ein Matrose kam an den Tisch und sprach leise mit dem Kapitän, der sich sofort erhob. „Ich bitte um Entschuldigung, aber ich werde an Deck gebraucht, wir sind fertig zum Auslaufen.“ Worauf er zusammen mit dem Matrosen den Salon verlieβ.

„Wir laufen aus!“, entfuhr es dem Shrenk. „Sollten wir nicht besser an Deck gehen?“

„Bevor ich nicht meine Nachspeise gegessen habe, verlasse ich nicht diesen Tisch, Doktor.“ Ali grinste. „Man soll bekanntlich die Feste feiern wie sie fallen, denn so ein gutes Essen wird es nach Rotterdam mit Sicherheit nicht mehr geben.“

Der Doktor sah Ali prüfend an. „Hm, werter Ali, durch die Thobe kann man ja die Figur recht gut kaschieren.“

„Wie könnt ihr es wagen, mich als Vielfraβ hinzustellen!“

„Wer hat dieses Wort gebraucht?“

„Jetzt tut nicht so unschuldig. Ihr habt es angedeutet. Ich bin dank des Ramadan schlank geblieben und werde schlank bleiben. Wir werden bald alle Hände voll zu tun haben, unsere Kamele am Halfter über den Tanker zu führen.“

Worauf der Kellner mit einem freundlichen Lächeln das Dessert servierte: Ausgebackene, noch heiβe Orangenkringel, mit Orangensirup glasiert und leicht nach Honig duftend. Dazu gab es Vanilleeis.

Die Turbinen des Tankers begannen zu arbeiten. Ein kaum merkbares Zittern durchlief das Schiff, gefolgt von lauteren Summen. Da war Ali nicht mehr zu halten und erhob sich. „Kommen sie Doktor! Wir laufen aus Port Said aus.” Worauf Ali und der Shrenk sich eiligst an Deck begaben, um sich so ein interessantes Manöver nicht entgehen zu lassen.
 
28.

„Was für ein Nacht!“, rief der Shrenk aus. Er lehnte neben Ali an der Reling und blickte hinauf zum Himmel.

Die Lichter von Alexandria verschwanden in der Ferne. Die Ramlah hatte ihre normale Reisegeschwindigkeit aufgenommen. Die See war so glatt, dass sich auf der Oberfläche das Licht der Sterne spiegelte.

„Ja, Doktor. Dies ist eine mystische Nacht. Seht ihr wie sich um uns die Elemente offenbaren?“

„In der Tat, werter Ali.“

„Die Elemente sind heilig. Das Meer, der Wind, das Land, das Leben und das Feuer.“

„Wo ist Feuer?“- Ja, der groβe Leuchtturm von Alexandria! Eines der sieben Weltwunder, das ist aber Jahrhunderte her.“


„Ich dachte an das kosmische Feuer.”

„Was für ein komisches Feuer meint ihr?“

„Shrenk!“ Ali deutete hinauf zum Himmel. „Ich sprach vom kosmischen Feuer, nicht komisches Feuer.“

„Kosmisches Feuer? Ähm. Hm.“

„Dort oben sind Milliarden Sterne, Galaxien und Planeten.“

„Das ist nichts Neues, nur wo ist Feuer?“

„Dort oben ist die Wiege und Kinderstube unseres Universums.“

„Hm. Die hedonische Korrektur der Wunscherfüllung ermöglicht vorübergehende positive Änderung des Wohlbefindens.“

„Dieses Feuer in uns zu erwecken, ist die Geburt unseres inneren Kosmos, das Erwachen des schlafenden Drachen.“

„Ein schlafender Drache?“

„Mit Hedonismus hat das nichts mehr zu tun, Shrenk.“

„Eine hedonische Korrektur erhofft nicht nur Realbefriedigung, sondern ermöglicht auch eine vorübergehende positive Kompensation der Befindlichkeiten.- Der Doktor hüstelte. „Ich frage mich, ob der Drache eher kompensatorisch ist?“ Der Doktor hüstelte nochmals, sichtlich nervös geworden. „Auf einen realen Drachen wollt ihr euch ja nicht beziehen?“

„Ich frage mich gerade Doktor, ob sich ein Mystiker und ein Psychiater jemals verstehen?“

„Nun, eine Wunscherfüllung stellt eine besondere psychische Leistung der Evokation hedonischen Erlebens dar.“

„Der Drache ist unfassbar, Doktor!“

„In der Tat, Ali. Das sehe ich genauso. Unfassbar ist ihr komischer Drache!“

„Kosmischer Drache“, korrigierte Ali geduldig.

„Kosmischer Drache und Feuer?“

Ali nickte. „Durch unsere Sprache werden wir ihn nie erfassen. Durch Poesie die mitten aus dem Herzen kommt, vielleicht sanft berühren.“

„Eure Ausgestaltung des wunscherfüllenden Szenarios in der Phantasie, meint nicht nur die Tätigkeit des Vorstellens und Ausmalens, sondern erstreckt sich darüber hinaus auch auf die Inszenierung des Szenarios.“

„Doktor!“

„Hm. Freud spricht vom realen Ereignis für die Herstellung einer Situation der Wunscherfüllung.“

„Doktor, versteht ihr nicht?“

„Freud sieht es halt so, dass Wunsch und Wunscherfüllung genau deckungsgleich sind. Diese sind ganz entschieden präsentisch und gehen im phantasiebewirkten Genuss des Augenblicks auf.“

„Ich beziehe mich auf die dunkle Nacht der Seele. Versteht ihr? Ich spreche von einer mystischen Nacht.“

„In der Tat Ali, es ist heute eine besonders dunkle Nacht.“

„Mir geht es um die mystische Erfahrung.“

„Genau wie Freud, befasse ich mich nicht mit mystischen Erfahrungen, Gnädigster.“

„Johannes vom Kreuz spricht über diese dunkle Nacht, durch die jeder Mystiker hindurch finden muss. Diese Tiefe werdet ihr mit eurer Psychoanalyse niemals erreichen.“

Der Doktor beschloss zu schweigen. Was sollte er auch darauf antworten? Ali hatte sich nun in mythische und mystische Phantasien geflüchtet. Zu Hause angekommen lag sehr viel Therapie an: Vier verrückte Kamele und Ali die sich nun in diese Drachenphantasien hinein verstrickte.

Yusuf stand plötzlich vor ihnen. „Bei Allah dem Allmächtigen, ich möchte nicht euer Gespräch stören. Ich wollte euch sagen, dass es den Kamelen gut geht und dass sie mit Futter versorgt sind. Ich war gerade nach ihnen schauen.“

„Oh Danke, das ist gut zu hören, Yusuf“, bedankte sich Ali.

„Gut, ich muss mich nochmals mit dem einen Druckventil befassen. Möge Allah mit euch sein.“

Kaum war Yusuf verschwunden, deute Ali erneut hinauf zum den Himmel: „Seht ihr den Drachen, Doktor?“

„Nein, Ali.“

„Morgen können wir weiterreden. Dann erzähle ich euch vom dem ägyptischen Papyrus der Augenstern des Kosmos. Ich bin müde und möchte diese Nacht bei Akhbar im Stroh schlafen.“

„Eines möchte ich noch fragen.“

„Was wollt ihr wissen?“

„ Dieser komische Drache.“

„Kosmische Drache!“

„Ähm, ja. Bezieht ihr euch mit diesem Drachen auf die tiefste Schicht der Erfahrung?“

„Ja, Shrenk. Und wie ich bereits sagte, kann der kosmische Drache niemals durch die ganze Breite des psychoanalytischen Handelns abgedeckt werden.“

„Ich kann euch da einmal wieder nicht folgen“, seufzte der Doktor.

„Es gibt Augenblicke zwischen zwei Menschen, die so dicht sind dass sich plötzlich ein Tor öffnet, eine innere Sicht und wir einen Blick erhaschen, in den unendlichen Raum. Und das wird Leere genannt.“
 
29.

„Oh Akhbar, mein geliebter Akhbar“, murmelte Ali schläfrig, sie schmiegte sich wohlig an den Hals von ihrem Liebling und schlief sofort ein. Lautlos glitt sie in die Tiefen ihrer Seele und das Reich der Träume hinab. Ali träumte von der Nacht in der Rub-Al-Kahli. Sie blickte hinauf zu den Sternen. Die Wüste war überwältigend, es kam noch eine geheimnisvolle Magie hinzu, die alles um sie her verzauberte. Die Sterne begannen zu tanzen und der Wind sang dazu ein leises melancholisches Lied. Immer näher kamen die Sterne in ihrem Tanz. Es war, als ob ihre Farben explodierten und von den Sternen tönten Melodien. Jeder Stern besaβ eine andere Melodie, welche sich in kosmischer Harmonie mit allem vereinigte und eine Symphonie erschuf.

Folge den Zeichen und nicht den Schriften, dachte sie und dann war nur noch unendliche Stille. Ein schweigendes Meer in einem endlosen Meer der Nacht, Sand und Sternen.

„Ali! Ali!“, erklang es, während jemand unsanft an ihr rüttelte. Verwirrt öffnete Ali die Augen und blickte um sich. Ihre Kamele schliefen friedlich. Yusuf aber stand neben ihr und machte einen aufgeregten Eindruck. 106

„Was ist, Mister Yusuf?“ Ali blickte verschlafen auf ihre Uhr. Es war fünf Uhr morgens. Noch nicht einmal Zeit zum Gebet. Bei Allah und seinem Propheten Mohamed, überlegte Ali. Was will Yusuf so früh? Nicht dass der Dampfer sinkt?

„Ali ich muss dringend mit euch über die Kamele reden“, stieβ Yusuf hervor. „Eure Kamele stürzen unseren gesamten Dampfer in Chaos und Unruhe!“

„Was?“ Ali rieb sich die Augen und gähnte. “Habt ihr schlecht geträumt, Mister Yusuf?”

„Schlecht geträumt?“ klang es jetzt geradezu erbost. „Ich habe nicht geträumt in dieser Nacht, denn die meiste Zeit der Nacht verbrachte ich zusammen mit der Mannschaft an Deck, in dem Versuch, eure Kamele einzufangen.“

„Bei Allah, das kann ja wohl nicht sein! Seht ihr nicht, wie meine Kamele tief in Schlaf versunken hier friedlich neben mir liegen?“ Ali war fast sprachlos, aber nur fast. Denn ein letzter Rest Sprache war ihr doch noch geblieben um so einen, wie ihr schien, fatalen Irrtum aufzuklären.

Yusuf ging inzwischen unruhig im Kamelstall auf und ab, hob seinen rechten Arm und stieβ mit der Faust in die Luft. Als Untermalung dieser ungewöhnlichen Körperertüchtigung stöhnte er laut auf, was Ali seltsam fand. Seltsam besonders, dass Yusuf so laut stöhnte, und aber auch, dass nicht einmal sein Stöhnen ihre Kamele zu wecken schien.

„Friedlich? - Friedlich nicht, sondern völlig besoffen sind eure Kamele, die jetzt im Alkoholkoma ihren Rausch ausschlafen!“ Yusuf stoppte sein auf und ab Gehen, gab Akhbar einen Fuβtritt, worauf er Ali triumphierend anblickte und ausrief:

„Seht ihr, jetzt schläft er friedlich! Nicht einmal meinen Tritt bekommt er mit, aber nur weil er total betrunken ist!“

Worauf er seine auf und ab Gangart erneut aufnahm. „Stundenlang jagten wir eure Kamele über die Ramlah. - Wisst ihr überhaupt was es bedeutet dreihundertsechzig Meter auf und ab und auf und ab, hinter Kamelen her zu rennen?“

Ali beschloss verständnisvoll zu nicken, obwohl sie noch nichts verstand. Der Yusuf muss durchgedreht sein, kam es ihr in den Sinn. Sie schielte argwöhnisch zu ihm rüber und beschloss ihm besser noch nichts von ihrer Vermutung zu sagen. Erst mal abwarten was da noch kommen könnte. Für alle Fälle von Schizophrenie oder Paranoia und sonstigen geistigen Umnachtungen war ja da noch der Shrenk.

„Ihr spracht gestern bereits an, dass es sich bei euren Kamelen um spezielle Kamele handle.“

„In der Tat, Mister Yusuf“, versuchte Ali so höflich und gleichmütig wie möglich zu antworten. Meine Kamele sind sehr spezielle Kamele.“

„Bei Allah und auch beim Bart seines heiligen Propheten Mohammed! Spezieller geht es gar nicht!“ Worauf Yusuf sich an den Kopf fasste und von einer Art hysterischen Lachanfall heimgesucht wurde. „Abgesehen, dass eure Kamele schnell sind wie der Wüstenwind, waren sie obendrein in der Lage Türen zu öffnen, Schlüssel aus dem Schrank in der Pantry heraus zu holen, die Tür der Speisekammer damit aufzuschlieβen und sich dort gütlich zu tun!“

„Was? Mein Akhbar? Akhbar würde so etwas nie tun!“

„Und nicht nur das Ali. Und nicht nur das. Wenn das nicht reichen würde, dass insgesamt von den achtzig Kilo Frischgemüse, für unsere Reise bis Rotterdam, fast alles komplett angebissen oder zerstampft wurde. Der Koch hat eine Art Derwisch Tanz vollführt und sich die Haare gerauft, als er heute Morgen in das Kühlhaus kam: Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Lauch, Karotten und Sellerie, Paprikaschoten, Blumenkohl, auch die Auberginen mussten daran glauben, sie wurden völlig zermatscht und ebenso erging es den Kartoffeln. Und nicht zu vergessen die grünen Bohnen die überall verstreut herumlagen. Alles zerstampft, zertreten oder angebissen. Ein Bild der Verwüstung!“

„Frischgemüse?“ Yusuf nickte. „Am Besten ihr redet nachher mit dem Koch. Denn wie er mir sagte, wird es auf dieser Reise keinen Salat und auch keinen Kohl geben. Kohl und auch die Petersilie wurde von euren Kamelen restlos aufgefressen. Unser Glück war, dass der Kapitän genauso gut geschlafen hat wie ihr selbst. So hat er von dem ganzen Tumult an Bord nichts mitbekommen. In der Pantry fanden wir heute Morgen am Boden eine leere Flasche Fernet Branca. Wie ihr wisst, fährt die Ramlah unter saudischer Flagge und da ist Alkohol an Bord strengstens verboten. So darf der Kapitän auch nichts über die betrunkenen Kamele erfahren.“

„Fernet Branca? Ist das nicht so ein Kräuterlikör?“

“Der Koch behauptet, er brauche das für seinen Magen und zur besseren Verdauung. Unser Koch behauptet auch, dass Fernet Branca über neunzig verschiedene Kräuter enthalten soll.“

„Meine Kamele mögen Kräuter. Hm. Verstehe.“

„Wie die Kamele die Flasche öffnen konnten wird für uns ein Rätsel bleiben. Durch den Alkohol gerieten die Kamele dann wohl auβer Rand und Band und entwickelten Geschwindigkeiten oben an Deck, wo wir einfach nicht mithalten konnten. Stundenlang jagten wir sie von Achterbord nach Vorderbord, aber auch die Treppen hinauf.“

Oh ja, dachte Ali, fünfundvierzig Stundenkilometer können Kamele rennen und wenn Yusuf wüsste, wie geschickt mein Akhbar inzwischen die Treppen zur Praxis vom Shrenk hinaufgeht. Durch den Shrenk wurde Akhbar letztendlich so geübt im Treppensteigen.

„Bis zum Peildeck hinauf führte die Jagd“, beschwerte sich Yusuf. „Aber vergeblich, wir bekamen diese Teufel einfach nicht zu fassen. Und dabei bäten und wieherten sie laut. Es klang fast so, als wenn sie sich über uns lustig machten!“

„Einfach unvorstellbar!“, murmelte Ali.

Sie konnte sich ihren Akhbar dabei aber sehr wohl und sehr gut vorstellen, und eigentlich fand sie es ungemein lustig, was ihre Kamele da wieder einmal ausgefressen, beziehungsweise, gefressen hatten.

„Wir versuchten diese elendigen Ungeheuer auf dem Peildeck zu umzingeln, aber dann bissen sie uns und schlugen mit den Hufen nach uns aus.“

„So, jetzt hört ihr mich mal an!“ Ali war ärgerlich aufgestanden und stellte sich direkt vor Yusuf hin. „Ich lasse es nicht zu, dass ihr meine Kamele beschimpft! - «Behandelt eure Kamele gut, eines Tages werden sie Millionen wert sein», riet der Scheich der Emirate, Zayed Al Nahyan, und er sollte Recht behalten. Ihr macht euch keine Vorstellung, wie wertvoll meine Tiere wirklich sind. - Zwei Wochen waren sie im Stall von Karim Bin Awad in Dschidda zu Gast und haben sich ordentlich betragen. Dort gab es allerdings auch keinen Alkoholausschank. Das ist ja gegen die Gesetzte unseres Heiligen Propheten Mohammed!“ Und Karim seinen Bruder kenn ich auch sehr gut, dachte Ali grimmig, aber das behalte ich lieber für mich, du schmächtiges Bürschchen aus Kashgar.

Yusuf schwieg betreten und Ali stockte plötzlich, als sie ein dumpfes Grollen aus dem Bauch von Akhbar vernahm. Das Grollen nahm mehr und mehr an Lautstärke zu und schwoll zu einem donnerndem Pups an, der sich nun mit voller Wucht aus Akhbars Hintern entlud und einen entsetzlichen Gestank nach altem Kohlgemüse im Raum hinterlieβ. Aber auch Miriam, Suleika und Omar, begannen mit einem lauten Pupskonzert, währenddessen sie friedlich und in seliger Ruh weiterschliefen.

Ali hielt sich die Nase zu und meinte zu Yusuf: „Wir sollten den Kamelen ihren wohlverdienten Schlaf nach solch einer ereignisreichen Nacht gönnen.“

„Ich schlage vor, dass wir den Koch aufsuchen, damit er euch das wahre Bild der Verwüstung zeigt.“
 
29.

„Oh Akhbar, mein geliebter Akhbar“, murmelte Ali schläfrig, sie schmiegte sich wohlig an den Hals von ihrem Liebling und schlief sofort ein. Lautlos glitt sie in die Tiefen ihrer Seele und das Reich der Träume hinab. Ali träumte von der Nacht in der Rub-Al-Kahli. Sie blickte hinauf zu den Sternen. Die Wüste war überwältigend, es kam noch eine geheimnisvolle Magie hinzu, die alles um sie her verzauberte. Die Sterne begannen zu tanzen und der Wind sang dazu ein leises melancholisches Lied. Immer näher kamen die Sterne in ihrem Tanz. Es war, als ob ihre Farben explodierten und von den Sternen tönten Melodien. Jeder Stern besaβ eine andere Melodie, welche sich in kosmischer Harmonie mit allem vereinigte und eine Symphonie erschuf.

Folge den Zeichen und nicht den Schriften, dachte sie und dann war nur noch unendliche Stille. Ein schweigendes Meer in einem endlosen Meer der Nacht, Sand und Sternen.

„Ali! Ali!“, erklang es, während jemand unsanft an ihr rüttelte. Verwirrt öffnete Ali die Augen und blickte um sich. Ihre Kamele schliefen friedlich. Yusuf aber stand neben ihr und machte einen aufgeregten Eindruck. 106

„Was ist, Mister Yusuf?“ Ali blickte verschlafen auf ihre Uhr. Es war fünf Uhr morgens. Noch nicht einmal Zeit zum Gebet. Bei Allah und seinem Propheten Mohamed, überlegte Ali. Was will Yusuf so früh? Nicht dass der Dampfer sinkt?

„Ali ich muss dringend mit euch über die Kamele reden“, stieβ Yusuf hervor. „Eure Kamele stürzen unseren gesamten Dampfer in Chaos und Unruhe!“

„Was?“ Ali rieb sich die Augen und gähnte. “Habt ihr schlecht geträumt, Mister Yusuf?”

„Schlecht geträumt?“ klang es jetzt geradezu erbost. „Ich habe nicht geträumt in dieser Nacht, denn die meiste Zeit der Nacht verbrachte ich zusammen mit der Mannschaft an Deck, in dem Versuch, eure Kamele einzufangen.“

„Bei Allah, das kann ja wohl nicht sein! Seht ihr nicht, wie meine Kamele tief in Schlaf versunken hier friedlich neben mir liegen?“ Ali war fast sprachlos, aber nur fast. Denn ein letzter Rest Sprache war ihr doch noch geblieben um so einen, wie ihr schien, fatalen Irrtum aufzuklären.

Yusuf ging inzwischen unruhig im Kamelstall auf und ab, hob seinen rechten Arm und stieβ mit der Faust in die Luft. Als Untermalung dieser ungewöhnlichen Körperertüchtigung stöhnte er laut auf, was Ali seltsam fand. Seltsam besonders, dass Yusuf so laut stöhnte, und aber auch, dass nicht einmal sein Stöhnen ihre Kamele zu wecken schien.

„Friedlich? - Friedlich nicht, sondern völlig besoffen sind eure Kamele, die jetzt im Alkoholkoma ihren Rausch ausschlafen!“ Yusuf stoppte sein auf und ab Gehen, gab Akhbar einen Fuβtritt, worauf er Ali triumphierend anblickte und ausrief:

„Seht ihr, jetzt schläft er friedlich! Nicht einmal meinen Tritt bekommt er mit, aber nur weil er total betrunken ist!“

Worauf er seine auf und ab Gangart erneut aufnahm. „Stundenlang jagten wir eure Kamele über die Ramlah. - Wisst ihr überhaupt was es bedeutet dreihundertsechzig Meter auf und ab und auf und ab, hinter Kamelen her zu rennen?“

Ali beschloss verständnisvoll zu nicken, obwohl sie noch nichts verstand. Der Yusuf muss durchgedreht sein, kam es ihr in den Sinn. Sie schielte argwöhnisch zu ihm rüber und beschloss ihm besser noch nichts von ihrer Vermutung zu sagen. Erst mal abwarten was da noch kommen könnte. Für alle Fälle von Schizophrenie oder Paranoia und sonstigen geistigen Umnachtungen war ja da noch der Shrenk.

„Ihr spracht gestern bereits an, dass es sich bei euren Kamelen um spezielle Kamele handle.“

„In der Tat, Mister Yusuf“, versuchte Ali so höflich und gleichmütig wie möglich zu antworten. Meine Kamele sind sehr spezielle Kamele.“

„Bei Allah und auch beim Bart seines heiligen Propheten Mohammed! Spezieller geht es gar nicht!“ Worauf Yusuf sich an den Kopf fasste und von einer Art hysterischen Lachanfall heimgesucht wurde. „Abgesehen, dass eure Kamele schnell sind wie der Wüstenwind, waren sie obendrein in der Lage Türen zu öffnen, Schlüssel aus dem Schrank in der Pantry heraus zu holen, die Tür der Speisekammer damit aufzuschlieβen und sich dort gütlich zu tun!“

„Was? Mein Akhbar? Akhbar würde so etwas nie tun!“

„Und nicht nur das Ali. Und nicht nur das. Wenn das nicht reichen würde, dass insgesamt von den achtzig Kilo Frischgemüse, für unsere Reise bis Rotterdam, fast alles komplett angebissen oder zerstampft wurde. Der Koch hat eine Art Derwisch Tanz vollführt und sich die Haare gerauft, als er heute Morgen in das Kühlhaus kam: Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Lauch, Karotten und Sellerie, Paprikaschoten, Blumenkohl, auch die Auberginen mussten daran glauben, sie wurden völlig zermatscht und ebenso erging es den Kartoffeln. Und nicht zu vergessen die grünen Bohnen die überall verstreut herumlagen. Alles zerstampft, zertreten oder angebissen. Ein Bild der Verwüstung!“

„Frischgemüse?“ Yusuf nickte. „Am Besten ihr redet nachher mit dem Koch. Denn wie er mir sagte, wird es auf dieser Reise keinen Salat und auch keinen Kohl geben. Kohl und auch die Petersilie wurde von euren Kamelen restlos aufgefressen. Unser Glück war, dass der Kapitän genauso gut geschlafen hat wie ihr selbst. So hat er von dem ganzen Tumult an Bord nichts mitbekommen. In der Pantry fanden wir heute Morgen am Boden eine leere Flasche Fernet Branca. Wie ihr wisst, fährt die Ramlah unter saudischer Flagge und da ist Alkohol an Bord strengstens verboten. So darf der Kapitän auch nichts über die betrunkenen Kamele erfahren.“

„Fernet Branca? Ist das nicht so ein Kräuterlikör?“

“Der Koch behauptet, er brauche das für seinen Magen und zur besseren Verdauung. Unser Koch behauptet auch, dass Fernet Branca über neunzig verschiedene Kräuter enthalten soll.“

„Meine Kamele mögen Kräuter. Hm. Verstehe.“

„Wie die Kamele die Flasche öffnen konnten wird für uns ein Rätsel bleiben. Durch den Alkohol gerieten die Kamele dann wohl auβer Rand und Band und entwickelten Geschwindigkeiten oben an Deck, wo wir einfach nicht mithalten konnten. Stundenlang jagten wir sie von Achterbord nach Vorderbord, aber auch die Treppen hinauf.“

Oh ja, dachte Ali, fünfundvierzig Stundenkilometer können Kamele rennen und wenn Yusuf wüsste, wie geschickt mein Akhbar inzwischen die Treppen zur Praxis vom Shrenk hinaufgeht. Durch den Shrenk wurde Akhbar letztendlich so geübt im Treppensteigen.

„Bis zum Peildeck hinauf führte die Jagd“, beschwerte sich Yusuf. „Aber vergeblich, wir bekamen diese Teufel einfach nicht zu fassen. Und dabei bäten und wieherten sie laut. Es klang fast so, als wenn sie sich über uns lustig machten!“

„Einfach unvorstellbar!“, murmelte Ali.

Sie konnte sich ihren Akhbar dabei aber sehr wohl und sehr gut vorstellen, und eigentlich fand sie es ungemein lustig, was ihre Kamele da wieder einmal ausgefressen, beziehungsweise, gefressen hatten.

„Wir versuchten diese elendigen Ungeheuer auf dem Peildeck zu umzingeln, aber dann bissen sie uns und schlugen mit den Hufen nach uns aus.“

„So, jetzt hört ihr mich mal an!“ Ali war ärgerlich aufgestanden und stellte sich direkt vor Yusuf hin. „Ich lasse es nicht zu, dass ihr meine Kamele beschimpft! - «Behandelt eure Kamele gut, eines Tages werden sie Millionen wert sein», riet der Scheich der Emirate, Zayed Al Nahyan, und er sollte Recht behalten. Ihr macht euch keine Vorstellung, wie wertvoll meine Tiere wirklich sind. - Zwei Wochen waren sie im Stall von Karim Bin Awad in Dschidda zu Gast und haben sich ordentlich betragen. Dort gab es allerdings auch keinen Alkoholausschank. Das ist ja gegen die Gesetzte unseres Heiligen Propheten Mohammed!“ Und Karim seinen Bruder kenn ich auch sehr gut, dachte Ali grimmig, aber das behalte ich lieber für mich, du schmächtiges Bürschchen aus Kashgar.

Yusuf schwieg betreten und Ali stockte plötzlich, als sie ein dumpfes Grollen aus dem Bauch von Akhbar vernahm. Das Grollen nahm mehr und mehr an Lautstärke zu und schwoll zu einem donnerndem Pups an, der sich nun mit voller Wucht aus Akhbars Hintern entlud und einen entsetzlichen Gestank nach altem Kohlgemüse im Raum hinterlieβ. Aber auch Miriam, Suleika und Omar, begannen mit einem lauten Pupskonzert, währenddessen sie friedlich und in seliger Ruh weiterschliefen.

Ali hielt sich die Nase zu und meinte zu Yusuf: „Wir sollten den Kamelen ihren wohlverdienten Schlaf nach solch einer ereignisreichen Nacht gönnen.“

„Ich schlage vor, dass wir den Koch aufsuchen, damit er euch das wahre Bild der Verwüstung zeigt.“

Des Einen Freud, des Anderen Leid ..... :D
 
„Wie habt ihr meine Kamele denn dann endlich in den Stall bekommen?“

„Sie ermüdeten von selbst. Nach drei Stunden trabten sie friedlich und ganz von alleine in Richtung ihres Stalles.“

„Mister Mustafa, nun beruhigt euch doch“, versuchte Ali einen völlig demoralisierten Küchenchef zur Vernunft zu bringen. Aber es war vergebliche Mühe. Mustafa saβ zusammengesunken auf dem Fuβboden in der Pantry und stammelte irgendetwas Unverständliches über einen Scheikh Al-Mahschi.

„Mustafa, wir kriegen das schon hin, ohne dass Kapitän Allmalah etwas von dem kleinen Missgeschick an Bord erfährt.“

„Bei Allah, aber was ist mit Scheikh Al-Mahschi?“, entgegnete er schluchzend.

„Mustafa!“ Ali stieβ inzwischen genervt die Luft aus. „Könnt ihr mir jetzt endlich verraten, was hat der Scheikh Al-Mahschid mit dem Kapitän Allmalah zu tun?“

Sind denn alle an Bord inzwischen schon am Durchdrehen? Das fragte sich Ali. Die einzigen die normal geblieben sind und friedlich schlafen, sind meine Kamele, während die Mannschaft der Ramlah mir böse Blicke zuwirft und Küchenchef Mustafa sich genussvoll an seinem Unglück zu laben scheint. Seit zehn Minuten faselt er über diesen Scheikh Al-Mahschid. Auf so einem Dampfer kriegen sie sowieso alle nach ein paar Tagen den Koller. Es fehlt nur noch schlechtes Wetter.

„Scheikh Al-Mahschid ist das Lieblingsgericht vom Kapitän und dazu brauche ich Auberginen.“

Ali stellte sich gerade den rollenden Supertanker in schwerer See vor. Dann erübrigt sich das Essen sowieso, da niemand mehr richtigen Appetit hat.

„Und dafür brauche ich ganze Auberginen, und nicht dieses zerstampfte Püree, das noch immer im Kühlhaus am Boden herumliegt“, beklagte sich Mustafa.

„Scheikh Al-Mahschid ist das Lieblingsgericht?“

Ali hatte eigentlich insgeheim gehofft, ein Scheich sei auch an Bord. Seit ihrer Kindheit hatten es ihr die Scheichs angetan, diese dunkelhäutigen Araber in ihren wehenden weiβen Gewändern, ein Falke auf dem Arm sitzend, der sich gleich hoch in die Lüfte schwang um die Beute zu jagen. Oh ja, die Wüstenscheichs hatten auf Ali schon immer einen groβartigen Eindruck gemacht, waren sie nicht das absolute Zeichen männlicher Kraft? Und jetzt stellte sich heraus, der angebliche Scheich war ein Auberginenauflauf. Ein bisschen enttäuscht besann sie sich auf ihre Verantwortung gegenüber Mustafa und begann ihr Hirn anzustrengen, was zu tun sei.

„Allahs Wege sind unergründlich. Kommt mit mir nach dem Püree schauen“, forderte Ali ihn auf und erhob sich.

„Scheikh Al-Mahschid“, stammelte Mustafa und stieg mit hängendem Kopf vor Ali die Treppe zum Kühlhaus hinab. Ali sah auf die Uhr. Es war halb Sieben. Noch eine Stunde bis zum Frühstück und gebetet hatte sie auch nicht, aber Allah wird Verständnis für mich und vor allem auch für den Scheikh Al-Mahschid haben.

Unten angekommen offenbarte sich ihr das wahre Bild der Verwüstung. Ali schluckte. So schlimm hatte sie es sich nicht vorgestellt, aber sie versuchte ein ermutigendes Lächeln aufzusetzen um Mustafa zu beruhigen.

„Kann ich aus solchen Auberginen Scheikh Al-Mahschid machen?“, jammerte Mustafa nun besonders laut und deute dabei in die verschiedensten Ecken und Stellen, wo Reste zermatschter Auberginen herumlagen. Ali bückte sich zu einem der Matschreste und schnupperte daran.

„Allah hilft uns, Mustafa. Denn Allah meint es gut mit uns allen, wenn ich das nicht wüsste, würde ich auch glatt durchdrehen!

Wenn wir uns sofort um die Auberginen kümmern, können wir sie retten. Wir nehmen alle Teile der Frucht die noch einigermaβen gehen und schmoren sie gleich mit etwas Öl an. Für deinen Scheikh Al-Mahschid, den Scheich des Gefüllten meinst du doch sicherlich damit? Also dafür geht es nicht mehr, aber für Musakka müsste es klappen. Habt ihr Kürbis?“

„Musakka?“ Mustafa schien zu überlegen. “Einfrieren?” Er überlegte nochmals, ein erstes Lächeln huschte über sein Gesicht, Mustafa nickte.

„Allah ist groβ, Allahu Akhbar!“, rief Ali und begann Auberginenreste aufzusammeln.

„Ich kann auch kochen Mustafa, und helfe euch gerne dabei, von dem Gemüse einiges zu retten.“

„Ihr wollt mir wirklich helfen?“

“ Ich war Profi, Mustafa.”

„Ich dachte ihr seid Kameltreiber, wie wollt ihr mir da in meiner Küche helfen?“, kam es verwirrt aus Mustafas Mund.

„Ja, Kameltreiber unter anderem auch“, meinte Ali leichthin.

„Allah schickt mir seine Engel, nachdem er mir zuerst diese Teufel gesandt hatte.“

„Wir beginnen mit den Auberginen. Und dann fertigen wir ein Tomatenkonzentrat und frieren es Portionsweise ein. Auf diese Weise könnten wir es mit den anderen Gemüsesorten genauso machen: andünsten und einfrieren. Ich bin sonst auch nicht unbedingt für Tiefkühlung, aber Allah wird verstehen, dass wir zu diesem Mittel greifen, um retten was zu retten ist.“

Mustafa munterte merklich auf. „Wir könnten verschiedene Gemüsesuppen kochen, in Essig eingelegtes Gemüse.“

„Den Mangold retten wir auch noch, der wird in eine Mangold Jogurt Suppe verarbeitet.“

„Mit dem Lauch könnten wir genauso verfahren.“

„Werter Yusuf, nur möchte ich mich nicht aufdrängen. Ich stelle mich demütig als eure Hilfskraft zur Verfügung und biete euch mein Können, um es in gut schmeckende Mahlzeiten für den Kapitän Allmalah und die Besatzung der Ramlah, einflieβen zu lassen.“

„Allah ist gut und weise, er hat euch zu mir gesandt, um mir Mut und Tatkraft zu schenken. Ich bin euch mehr als dankbar für euer Angebot.“

„Verwahrt euren Verdauungstrank in Zukunft in einem sichereren Versteck.“

„Bei Allah, oh ja“, stotterte er. „Ich habe noch zwei Flaschen von diesem so gesundheitsfördernden Kräutertrank und lass euch gerne auch ein Gläschen zukommen.“

„Oh, nein danke“, wehrte Ali lachend ab. „Behaltet ihn ganz für euch, damit ihr auch weiterhin bei so guter Gesundheit bleibt wie bisher.“

„Bei Allah, ihr seid ein weiser und verständiger Mann.“

„Das seid ihr auch, Mustafa. Ich komme nach dem Frühstück mit meinem Doktor, zu euch in die Küche.“

Endlich einmal wieder neue Herausforderungen, dachte Ali zufrieden. Und der Shrenk kann, derweil ich Mustafa in der Küche helfe, über seine Hedonische Korrektur weiter referieren und dabei Kartoffeln schälen und glücklich sein.
 
32.

“Wo genau sind wir?“, fragte der Shrenk.

„Yusuf sagte, südlich von Sardinien.

„Sind wir nicht eher nördlich von Tunis?“ Der Shrenk nahm seine Brille ab, putzte sie sorgfältig, dann setzte er sie erneut auf und deute nach links. „Seht ihr nicht, Ali?“

„Was soll ich sehen?“

„Tunesien. Das Festland von Tunesien.“

„Tunesien?“ Ali deutete nach rechts und meinte gelassen: „Ich sehe in der Ferne Sardinien.“

„Sardinien?“

Ali nickte. „Meine Wahrheit ist die Wahrheit, auch wenn es scheint, sie sei eine andere Wahrheit, als eure.“

„Warum können wir nicht ein einziges Mal einer Meinung sein, werter Ali?“

„Einer Meinung oder eurer Meinung?“

„Wir befinden uns südlich von Sardinien und nördlich von Tunesien, Ali. Das ist einleuchtend, denn beide Länder klingen ähnlich.“

„Ähnlich?“

„Algerien und Tunesien. Ähm. Sardinien. Ich höre darin eine gewisse Ähnlichkeit bei den Endlauten, was kein Zufall sein kann.“

„Genau. - Syrien, Tasmanien und auch Neu Kaledonien. Das klingt auch ähnlich.“

„Wir könnten uns einmal fragen, was überhaupt Wahrheit ist“, entschied der Doktor ungeduldig. „Euch geht es nur darum, Recht zu behalten“, seufzte der Shrenk. „Ich bin müde vom vielen Kamelstall ausmisten und habe nicht die notwendige Geduld, mit euch Streitgespräche zu führen.“

„Mir geht es nicht um Streitgespräche. Auch ich bin müde vom vielen Ausmisten. Unsere Kamele sind nun mal unpässlich durch zu viel Kohlgenuss und Fernet Branca.“

„Da bin sogar ich als Psychiater machtlos. Alkoholvergiftungen fallen nicht in mein Fachgebiet. Aber warum nur Ali, warum hatten die Kamele überhaupt das Bedürfnis den Fernet Branca zu trinken? Wenn Kamele zur Flasche greifen, muss ein schwerwiegendes Motiv dahinter stecken!“

„Wir gehen gleich nach ihnen schauen und dann könnt ihr Akhbar ja selbst danach fragen.“

Der Doktor beschloss vom Thema abzulenken. Man kann einfach mit Ali nicht über eine Therapie ihrer Kamele reden, dachte er.

„Wie meintet ihr das eben mit der Wahrheit, Ali?“

„Wahrheiten gibt es unzählige, Doktor. So viele wie es Standpunkt gibt.

„Wahrheit wird von Denkern verschieden interpretiert.“

„Und darum, lohnt es nicht darüber zu streiten.“

„Es geht um die Subjekt-Objekt-Spaltung.“

„Subjekt-Objekt-Spaltung? Das hört sich aber nicht gut an, Doktor. Spaltung erinnert mich an Schizophrenie.“

„Ohne Subjekt-Objekt-Spaltung wäre unser Ich-Bewusstsein nicht möglich.“

„Ich und Ego?“

„Das Ego ist lebenswichtig um sich abzugrenzen, um zu überleben.“

„Es existiert kein Ego, Shrenk.“

„Das wollt ihr mir immer wieder einreden, Ali.“

„Das Ego ist ein von uns künstlich erschaffenes Konstrukt.“

„Ohne Ego könnten wir nicht existieren!“

„ Das ist nur Einbildung mit dem Ego. Wollt ihr nicht verstehen, Doktor?“, rief Ali aus. „Wie durch einen Tunnel, nehmen wir die Welt wahr. Erinnert euch an Platons Höhlengleichnis. Wir erliegen einem Täuschungsmanöver unseres Gehirns. Wir simulieren einen Beobachter. Und wir simulieren die Realität die wir gerne wollen.“

„Oh werter Ali. Das geht entschieden zu weit. Die Naturwissenschaft, die exakten Wissenschaften sind real und keines falls simuliert.“

„Und jetzt sollten wir uns zum Abendessen fertig machen”, versuchte Ali, gelassen zu antworten.

„Doktor. Ich bin gespannt, wie unser Kapitän reagieren wird, wenn er Musakka, statt dem Scheich…“ Na wie hieβ der noch mal? - Also auf dem Teller bekommt.“

„Von welchem Scheich sprecht ihr?“, fragte natürlich sofort ein misstrauischer Shrenk. „Und obendrein ein Scheich auf dem Teller des Kapitäns?“

Der Shrenk hatte einmal wieder gar nichts verstanden, dachte Ali. Ich werde nun wieder viel Geduld benötigen, um ihm das mit dem Scheich zu erklären.
 
33.

„Ali, heute bleibe ich im Bett“, hauchte der Doktor. Seine Stimme war so leise, dass Ali ihn kaum verstand. Sein Gesicht war nicht nur blass, es war auch ein wenig Grün. Ali saβ auf dem Rand seiner Koje und tätschelte seine Wangen.

„Ach, Doktor. Das wird schon wieder, wartet mal ab, bis wir aus der Biskaya raus sind.“

Im Kanal wird es womöglich noch schlimmer, dachte Ali bange. Da werden die Wellen von beiden Seiten eingeschlossen und können nicht richtig ausrollen. Das erzähle ich ihm besser nicht.

„Es kommt mir so vor, als tanze die Ramlah eine Art Bauchtanz.“ Der Shrenk versuchte seine Stimme zu erheben, was sich in seinem typischen Krächzen äuβerte und Ali immer an eine Krähe erinnerte.

„Die Ramlah rollt nicht nur von einer Seite auf die andere“, kam es vom Shrenk.

Er hatte sich aufgerichtete und versuchte das Rollen der Ramlah, Ali vorzuführen.

„Die Ramlah rollt auch nach vorne, dann rollt sie zur Seite und dann rollt sie nach hinten.“ Seine Erklärungen unterstrich er mit seinen Armen, die dabei von einer Seite zur anderen wedelten, anhielten und erneut herumfuchtelten, aber auch mit seinen Augen die, die Bewegungen des Schiffes mitmachten. Seine Augen rollten so wie das Schiff sich bewegte, wobei er zu schielen begann. Das strengte ihn aufs Äuβerste an und so stöhnte er laut auf.

Ali, die sich durch das Schlingern nicht aus der Ruhe bringen lieβ, machte sich am CD Player zu schaffen und legte arabische Musik auf.

„Na, Shrenk?“, fragte Ali und begann sich zu dem Gesang von Alabina, in der engen Kajüte zu wiegen um ihren Shrenk ein wenig aufzuheitern.

„Oh, werteste!“, seufzte er matt.

“Wertester, wenn ich bitten darf. Ab Rotterdam könnt ihr wieder werteste sagen. In Rotterdam, bereden wir die prä-personalen Strukturen von Freud. Wir könnten auch seine Triebe, in die er sich genauso verwickelte, wie unser Supertanker es gerade mit den Wellen in der Biskaya macht, durcharbeiten. Daran anschlieβend huldigen wir uns den transpersonalen Einheiten eines Aurobindo oder wir versuchen uns bis zu Plotin und Schelling durchzuringen.“

Ali versuchte gerade eine Pirouette zu drehen, was ihr aber durch ein erneutes Kippen des Dampfers nicht so richtig gelang. Fast wäre sie auf der Koje vom Shrenk gelandet. 115

„Shrenk, es gibt keine konkurrierende Theorien, sondern eher ein komplementäres Sehen und das verdanken wir Ken Wilber. Wilber hat den Raum geöffnet zu mehr Ideen, Glaubensarten und Geschichten.“

Ali blickte fragend zum Shrenk. Der aber war aber friedlich eingeschlummert und träumte von einer wunderschönen arabischen Bautänzerin, denn ein seliges Lächeln umspielte seine Lippen. Vielleicht besuchte er gerade die Hundertvierundvierzig Jungfrauen, oder waren es nur zweiundsiebzig? Bei Allah! Der Shrenk hätte sich mit Sechsunddreiβig genauso erfreut.

„Shrenk! Shrenk! Shrenk!”, versuchte Ali ihn aufzuwecken, aber vergeblich. Der Shrenk schlief seit mindestens fünfzehn Stunden und schien es mit den sechsunddreiβig oder zweiundsiebzig Jungfrauen im Paradies ohne Zweifel zu genieβen. Nur jetzt war unbedingt Not am Mann.

„Doktor, wacht auf. Wacht auf, unsere Kamele sind spurlos verschwunden!“

Verschlafen blinzelte der Shrenk um sich.

„So steht auf. Ich meine es ernst!“

„Ernst?”

„Ich muss gestern Abend den Riegel des Stalls nicht richtig vorgeschoben haben. Die Kamele sind wie vom Erdboden, ähm, vom Schiffsboden verschluckt. Sie haben sich irgendwo im Bauch dieses Riesentankers versteckt, und ich will niemanden von der Mannschaft mobilisieren. Die haben noch genug von der abenteuerlichen Nacht im Mittelmeer, denn Kamelbisse, Kameltritte und Akhbars Bähen vergisst man nicht so schnell.“

Der Shrenk sprang aus dem Bett und zog sich hastig an. „Wo beginnen wir?“ fragte er, während er in seine Sandalen schlüpfte. „Sollten wir Yusuf nicht besser einweihen?“

„Erst mal nicht, Doktor.“

“Oh Allah, habe Erbarmen mit uns! Womöglich sind sie über Bord gegangen und ertrunken?“

„Da kennt ihr Akhbar schlecht. Bei so einem Seegang, spazieren sie nicht an Deck, sondern irgendwo unter Deck.“ Ali eilte zur Tür und öffnete sie. “Los Shrenk, beeilt euch. Wir müssen hinunter in den Maschinenraum.”

„Wie spät ist?“, fragte der Doktor und versuchte mit Ali mit zu halten, die im Laufschritt die Treppen nach unten hetzte.

„Es wird ein Uhr sein.“

„Dann sollten wir aber auch zum Mittagstisch erscheinen.“ 116

„Es ist mitten in der Nacht, Doktor.“

Ali öffnete die schwere Tür zum Maschinenraum.

„Bei Allah ist das eine Hitze!“, staunte Ali. Der Shrenk folgte ihr.

Von einer Plattform aus Metall, blickten sie mindestens fünfzehn Stockwerke tief in den Bauch der Ramlah hinunter.

„Wie sollen wir unsere Kamele da unten überhaupt finden?“, jammerte der Shrenk und wischte sich den Schweiβ von der Stirn. Die Ramlah legte sich gerade zur Seite. Der Shrenk hielt sich krampfhaft am Geländer fest und dachte mit Schaudern an den Abstieg.

„Es nützt alles nicht, wir müssen da runter, Shrenk!“

„Runter geht ja noch gerade. Ich frag mich, wie ich die fünfzehn Stockwerke wieder hoch kommen soll?“

Ali hörte den Doktor nicht bei dem Lärm. Es war das Summen, Singen und wie tiefes Grollen der Maschinen, welches ihr mehr als Achtung einflöβte. So gewaltig hatte sie sich das hier nicht vorgestellt. Entschlossen nahm sie die Treppen hinunter und spähte bei jedem Stockwerk auf die metallenen Laufbrücken, die rund um die riesige Turbine führten, aber von Akhbar oder den anderen Kamelen keine Spur. Nach Akhbar zu rufen hatte keinen Sinn, der Geräuschpegel verschluckte jeden menschlichen Laut.

„Ich kann behaupten, dass ein hysterisches Symptom sich nur dort manifestiert, wo zwei konträre Wunschbefriedigungen, jede aus der Quelle eines anderen psychischen Systems, aufeinander treffen“, überlegte der Shrenk laut. Er gab seine Gedanken rufend von sich, da ihn sowieso niemand hörte.

Eine endlose Zeit, stieg er hinter Ali die Treppen hinab. Und es wurde ihm immer unheimlicher, kein Mensch und auch kein Kamel, war zu sehen.

„Der Verlust der hedonischen spielerischen Ausrichtung, der Verlust eines subjektiven Zustandes von Aufgehoben- und Gehaltensein in einer freundlich zugewandten Schöpfung, scheint unseren Kamelen nicht erträglich. - Akhbars Stärke ist ja die Spielfreude, die Genussorientierung, der klingende Zauber des melodramatischen Spiels. Die Welt ist nichts mehr, wenn er sich dessen berauben lässt. Dagegen scheint er sich aufzulehnen.“

Der Doktor rang nach Luft. Das rhythmische Stampfen der Kolben, und ein Fauchen, das der Doktor mit dem kosmischen Drachen aus Alis Phantasiewelten assoziierte, machte ihm Angst.

Endlich erreichten Ali und der Shrenk das unterste Geschoss. Es war aussichtslos hier nach Kamelen zu suchen. Nachdem Ali sich vergewissert hatte, dass hier unten eher eine Art Hölle war, machten sich beide an den Aufstieg.

„Wo könnten sie noch sein?“, fragte Ali erschöpft.

Oben angekommen, eilte Ali einen Gang voraus, der Doktor hinterher.

Der Doktor sagte nichts, dafür aber schnaufte er umso lebhafter.

„Shrenk, wollt ihr mit der Turbine der Ramlah in Wettstreit treten? So wecken ihr noch die Mannschaft auf!“

„Schaut mal Doktor, Sloptanks! Hm. In den Tanks brauchen wir Akhbar nicht suchen!“

„Sloptanks? Was mag das sein?“

„Ich weiβ nicht genau, jedenfalls sind das nicht die Ladetanks. Die sind weiter vorne. Vielleicht Trinkwasser? Ach ist egal, hier finden wir unsere Kamele nicht.“

„Sollten wir nicht in der Pantry und den Kühlhäusern nachschauen?“, schlug der Doktor vor. “Unsere Kamele haben die Pantry in guter Erinnerung.“

„Doktor! - Dort habe ich längst nachgeschaut!“

„Hm.“

Der Doktor konzentrierte erneut seine Gedanken, den hysterischen Kamelen:

„Darum greifen, Hysteriker, beziehungsweise hysterische Kamele, solange es nur möglich und machbar ist, zu Irreführung, Vernebelungstaktiken und Täuschungsmanövern!“

„Shrenk! Könnt ihr nicht leiser mit euch reden?“

„Hm“, seufzte der Shrenk. „Ich plädiere für die Durchsuchung sämtlicher Besatzungskabinen.“

„Die Kabinen sind zu eng für Kamele.“

„Wie wäre es mit dem Salon? Die Kamele wussten sehr wohl von unseren täglichen Aufenthalten im Salon, aus denen sie ausgeschlossen wurden.“

„Im Salon? Das ist eine gute Idee“, fand Ali. Worauf sich beide eiligst dorthin auf machten. Enttäuscht mussten sie feststellen, dass von den Kamelen jede Spur fehlte.

„Wo essen die Seeleute?“, fragte der Shrenk, nachdem sie noch kurz in die Pantry schauten.

„Ja, Shrenk! Die Mannschaftsmesse. Dort könnten sie sein!“
 
Werbung:
Als Ali und der Shrenk, auβer Atem dort eintrafen, erwartete sie eine Überraschung. Ein hell erleuchteter Speisesaal den die Seeleute als Ballsaal umfunktioniert hatten. Dazu laute arabische House Musik. In der Mitte des Raumes tanzten an die zehn Männer in trauter Gesellschaft der lang gesuchten Kamele.

„Habibi, Habibi!“, sangen die Matrosen und drehten sich mit den Kamelen im Takt zu heiβen Rhythmen. Die Ramlah blieb auch nicht untätig und schaukelte, so wie es der Doktor erst unlängst beschrieben hatte: Wie eine Bauchtänzerin. Küchenchef Mustafa schwang eine neue, aber inzwischen fast leere Fernet Branca Flasche in der Luft, wobei er immer wieder:„Habibi, Habibi“, vor sich hin lallte.

„Was ist hier los?“, versuchte sich Ali mit lauter Stimme Gehör zu verschaffen.

Die Bedeutung einer psychotherapeutischen und psychoanalytischen Therapie als reine «conversation cure» kann nicht mehr unbedenklich gelten, überlegte stirnrunzelnd der Shrenk. Und so wie die Lage auβerdem scheint, brauchen die Kamele gleich Therapie und nicht erst zu Hause. Wie ich klar festzustellen habe, wird neben dem sprachlich-symbolischen Handeln ja gerade das nichtsprachliche körperlich-gestische Handeln betont.

„Was ist hier los?“, fragte Ali nochmals.

Dem Shrenk fielen zu der bestehenden Situation folgende Gedanken ein, die er sofort laut aussprach:

„Die Herausforderung des Auf-Sich-Gestellt-Seins unserer Kamele sind nun einmal Herausforderungen und dadurch werden psychische Situationen und psychosoziale Konstellationen angesprochen!“

Die Worte des Shrenks gingen in dem lauten Trubel unter.

Ali dagegen winkten die Seeleute lachend zu, lieβen aber von ihrem Bauchtanz keineswegs ab. Mustafa kam freudig auf sie zu. 119

„Ehrenwerter Ali, nehmt auch einen Schluck von diesem erlesenen Kräuterelixier, er stärkt die Verdauung und erfrischt spürbar die Sinne!“ Ali wich vor ihm und seiner Alkoholfahne, einen Schritt zurück und wandte sich an Akhbar, um seine Nüstern nach Fernet Branca Spuren zu beschnuppern. Allah ist voller Weisheit und hat es gut mit meinem Akhbar gemeint, denn Akhbar scheint nüchtern zu sein, stellte sie erleichtert fest.

Der Doktor folgerte, dass es bei hysterischen Kamelen statt zu gewissen regressiven Verarbeitungen eben genauso zu einer pseudoprogressiven Form kommen könnte:

„Auch die pseudoprogressive Form ist in Fachkreisen bestens bekannt!“, rief er triumphierend aus. „Und hier haben wir den Beweis: Akhbar versucht sich unwiderstehlich zu machen, Verlangen zu wecken, werbende und hofierende Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ganz klar deutet alles darauf hin, dass Akhbar «Hahn im Korb» werden will!“ Zur Unterstreichung ruderte der Doktor mit beiden Armen um das Flügelschlagen eines Hahns zu imitieren. Obendrein erhob er belehrend den Zeigefinger, um seinen überaus wertvollen Gedanken die notwendige Wichtigkeit zu verleihen. Die Seeleute lachten ihm zu und tanzten weiter. Mustafa versuchte gerade auf den Rücken von Miriam zu klettern, was ihm wegen der Fernet Branca Flasche nicht so richtig gelingen wollte. Er hievte sich auf der einen Seite Miriams hoch und fiel auf der anderen erneut herunter.

Ali stellte sich vor Akhbar, um ein ernsthaftes Gespräch mit ihm zu führen, was ihr auch nicht so richtig gelingen wollte, die Musik war zu laut. Akhbar war jetzt wirklich nicht daran interessiert, Ali zuzuhören.

„Unsere Kamele wollen liebkost, gestreichelt, beschenkt und liebevoll umsorgt werden!“, verkündete der Shrenk so laut er konnte. Was zu einem freudigen Wiehern von Suleika führte.

„Suleika, oh meine geliebte Suleika, du bist die einzige, die mich hier in diesem wilden Haufen noch zu verstehen scheint“, rief der Doktor mit Tränen der Rührung.

Worauf er Suleikas Hals liebkoste und schüchtern auch ein bisschen abküsste. Dann besann der Shrenk sich aber seiner erneuten so heiligen Pflicht: der Psychoanalyse Freuds und begann auszurufen:

„Hysterische Kamele wollen von der Gruppe beachtet und mit Aufmerksamkeit bedacht werden!“ 120

Die Matrosen hatten inzwischen Gefallen an den lauten Deklamationen des Shrenk gefunden, sie bildeten einen Kreis und tanzten lachend um ihn herum. Auch die Ramlah, schaukelte und lachte über den eifrigen Shrenk. So etwas hatte die Ramlah auf allen ihren Reisen noch nie erlebt: ein verrückter Shrenk, der vermeintliche hysterische Kamele therapiert. Amüsiert legte sich der Supertanker in die nächste Welle und warf vor lauter Lachen fast die Matrosen in der Mannschaftsmesse um.

„Habibi, Habibi!“, sangen die Matrosen. Wild schwangen sie ihre Hüften, führten mit den Armen passende und besonders neckische Tanzbewegungen über ihrem Kopf aus und klatschten rhythmisch in die Hände.

„Auf diese Weise können unsere Kamele die Illusion bestehen lassen, dass sie die Zumutung der frustrierenden Rückbesinnung auf die eigenen Möglichkeiten und Grenzen in einem leeren Raum, beziehungsweise in einem dunklen Kamelstall der Einsamkeit nicht erfahren müssen“, erkannte der Doktor zufrieden.

Ali hatte es längst aufgegeben sich in diesem Chaos Gehör zu verschaffen. Die Matrosen waren zu aufgedreht und die Kamele auch. Als aber das Wort «dunkler Kamelstall» fiel, stutzte Akhbar. Er spitzte die Ohren und bäte mehrmals laut. Worauf Miriam, Suleika und auch der liebe Omar, sich auf den Weg machten. Urplötzlich erinnerten sich die Kamele an ihren gemütlichen Stall und trabten von dannen. Worauf der Shrenk verständnislos den Kopf schüttelte. Denn hatte die Handlung von Akhbar, Miriam, Suleika und Omar, nicht erneut seine ganzen Konzepte bezüglich hysterischer Kamele, über den Haufen geworfen?
 
Zurück
Oben